Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
Vom Netzwerk:
hindurchzurutschen, aber auf halbem Weg blieb er stecken. Er griff über die Schulter und versuchte, den Dorn zu erwischen, an dem sein Hemd hängen geblieben war, aber der war außer Reichweite. Jack rollte sich nach beiden Seiten, aber auch das half nichts. Das
Boma
wackelte bei jeder Bewegung. Die alte Frau stieß mit einem langen Stock nach seinem Hemd, und es löste sich von dem Dorn. Jack kroch durch den Zaun und eilte auf das Bachbett zu.
    Die magere Deckung durch die Büsche war am Bachufer zu Ende. Er hielt hinter dem letzten Busch inne und wartete darauf, dass seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Die nächsten fünfzig Schritte durch das steinige Bachbett zum Unterholz würde er ohne Deckung sein. Selbst im Dunkeln würde man ihn sehen können, wenn die Wachtposten am Tor zufällig in diese Richtung schauten. Er würde warten müssen.
    Fünfzehn Minuten wartete er ungeduldig darauf, dass die Wachen sich umdrehten. Dann kamen zwei Männer den Weg entlanggerannt. Er nahm an, dass es Mengorus Leute waren, denn es gab einen lauten Wortwechsel, bevor alle vier ins Dorf eilten.
    Jack huschte über den Bach. In der relativen Sicherheit des Unterholzes konnte er sich schneller bewegen. Aus dem Dorf hinter ihm erklangen aufgeregte Stimmen. Dornen kratzten und rissen an ihm, als er weiterrannte.
    Er erreichte die Kisii-Straße kaum zwanzig Schritte vom Landcruiser entfernt. Rasch ging er zum Auto. Bear zeichnete sich durch das Rückfenster gegen den Himmel ab. Es sah irgendwie nicht richtig aus – sein Kopf lag in einem seltsamen Winkel am Fenster.
    Jack riss die Tür auf. Bear sackte heraus und fiel auf den Boden. Mit dem Gesicht nach unten. Reglos.
    Jack ließ sich auf ein Knie nieder und drehte ihn um. Glasige, blicklose Augen spiegelten das Licht der Innenbeleuchtung des Autos wider. Ein dünner Knochengriff und der Ansatz einer schmalen Klinge ragten aus der weichen Haut oberhalb des Schlüsselbeins.
    Dann erklangen Stiefelschritte auf dem Kiesweg. Vier Männer kamen auf Jack zugerannt.
    Er stieg über Bears Leiche. Es kam ihm falsch vor, ihn dort liegen zu lassen. Ein Schuss ertönte, und eine Kugel prallte vom Türrahmen ab, direkt über Jacks Kopf. Er rannte zur Fahrerseite und sprang ins Auto.
    Der Motor heulte auf, und der Wagen ruckelte und krachte durch das Gebüsch am Straßenrand. Jack trat das Gaspedal durch und riss den Landcruiser herum. Er hielt direkt auf die Männer zu, die ihm auf der Straße entgegenkamen. Sie sprangen ins Gebüsch. Schleudernd und Kies sprühend raste der Wagen an ihnen vorbei. Eine Explosion von Glassplittern traf Jack, als das Rückfenster zerbrach.
    Schließlich verbargen ihn der Staub und die Nacht.
     
    Jack saß im Dunkeln und starrte in die Nacht hinaus. Vor ihm bildeten die Hügel eine düstere Barriere gegen einen schwarzen, brütenden Himmel. Hin und wieder verliehen lautlose Blitze den Hügeln mehr Gestalt und zeigten sie als hohen Wall zwischen ihm und dem Viktoriasee, wo er bald ankommen sollte, wenn er Malaika rechtzeitig erreichen wollte.
    Hinter ihm blieb ein toter Mann zurück – ein toter Freund. Seine Leiche lag am Straßenrand.
    Er hatte keine andere Wahl gehabt. Jetzt zurückzukehren würde Bears Tod nicht ungeschehen machen. Und sich an den Wilderern rächen zu wollen war zwar ein attraktiver Gedanke, wäre aber noch dümmer. Eine weitere Dummheit auf seiner Liste.
    Er hatte das Gefühl, Bear gleich zweimal verraten zu haben. Das erste Mal, indem er sie beide in eine Situation gebracht hatte, die zu Bears Tod geführt hatte, und dann noch einmal, indem er seine Leiche zurückließ.
    Jacks Kopf sank auf das Lenkrad, und er schloss die Augen. Erinnerungen kehrten zurück. Bear, wie er im Schlamm mit den vier Männern beim Querfeldeinlauf rang. Und dann eine andere, nur zwei Tage alt: Bear, wie er lachte, nachdem Jack aus dem Landrover mitten in ein Rudel Masai-Mara-Löwen gefallen war.
    Tränen waren ein schlechter Ersatz für Zeit. Man brauchte Zeit, um sich von einem Freund zu verabschieden, um zu trauern. Und Jack durfte keine Zeit verlieren.

Kapitel 35
    Aus Peabodys Ostafrikaführer (5. Auflage):
    Die Suche nach der Quelle des Nils entwickelte sich im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert zu einer Art Besessenheit unter Wissenschaftlern.
    Viele Forscher versuchten, die Quelle zu finden, indem sie dem Fluss stromaufwärts folgten. Wegen des feindseligen Geländes und der noch feindseligeren Bewohner des Oberlaufs endete das unweigerlich

Weitere Kostenlose Bücher