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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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murmelte dem Tier etwas zu und tätschelte ihm den Hals. Als die Gruppe näher zum Dorf kam, wurde das Singen der Frauen lauter, und die
Moran
hoben ihre Stimmen, um es ihnen nachzutun, und schlugen fester gegen die Schilde.
    Ein Ältester erwartete die Neuankömmlinge am Tor zum
Enkang.
Er war schlicht gekleidet und trug keinen Schmuck. Hoch gewachsen, dünn, sogar ausgemergelt, strahlte er dennoch Würde und Stolz aus.
    Der Reiter des Hengstes bemerkte die schöne junge Frau, die neben dem alten Mann stand. Er hatte noch nie bunte Perlen an einer Massai gesehen. Als er die Perlen und sie näher anschaute, begegneten sich ihre Blicke.
    Der Älteste hob die Hand, und das Singen und rhythmische Schlagen hörte auf. Die plötzliche Stille war beinahe ein Schock.
    »Habari,
Sir Percy Girouard. Was gibt es Neues?« Das war der übliche afrikanische Gruß.
    »Mzuri,
Lenana. Gute Nachrichten«, sagte der Gouverneur, und es gelang ihm, würdevoll aus dem Sattel zu steigen, bis sein Stiefel im Steigbügel hängen blieb. Dann folgten mehrere schreckliche Sekunden, bis er sich befreit hatte, und schließlich streckte er Lenana mit verlegenem Hüsteln die Hand entgegen. »Ich freue mich, dich wiederzusehen, Lenana. Du siehst gut aus«, dröhnte er.
    Lenana lächelte dünn.
    »Wann haben wir dich zum letzten Mal gesehen, Lenana? Bei der Nairobi-Ausstellung?«
    »Ja, Gouverneur. Nairobi.«
    Der Gouverneur sprach weiterhin mit der lauten Stimme, die er immer gegenüber jenen benutzte, die die englische Sprache nicht fließend beherrschten. »Ja, ich denke, das war es. Ein feierliches Ereignis, wie? Die Viehprämierung, nicht wahr? Ja, selbstverständlich. Du machst das jetzt seit … seit wie vielen Jahren?«
    Lenana schaute verwirrt drein.
    Der braungebrannte Mann trat vor und sagte ein paar Worte auf Maa. Lenana antwortete, und der Mann sagte: »Der
Laibon
hat jetzt seit sechs Jahren bei der Nairobi-Ausstellung das Vieh begutachtet.«
    »Vielen Dank, Colvan. Seit 1905, wie? Tatsächlich.« Dann wandte er sich Lenana zu und rief: »Das ist wirklich gut, Lenana. Gut, gut.«
    Lenana nickte und lud die kleine Gruppe des Gouverneurs mit einer Geste in den Schatten eines großen Feigenbaums ein. Sir Percy lehnte die angebotene Milch ab und wies seinen Assistenten an, ihm die Wasserflasche zu bringen. Colvan nahm den Milchkürbis entgegen, und als er ihn hob, bemerkte er, dass die junge Massaifrau ihn beobachtete. Sie schlug rasch den Blick nieder.
    »Und, Lenana, alles in Ordnung mit dem Vieh? Gut, gut. Colvan, ich werde es auf Englisch machen. Vielleicht können Sie das eine oder andere Massaiwort hinzufügen, um Lenana zu helfen.«
    Colvan sprach leise mit Lenana, und der alte Mann nickte bedächtig. »Danke, Gouverneur«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme.
    Colvan betrachtete den Mann forschend. Der
Laibon
aller Massai war nicht das, was er erwartet hatte. Er hatte sich einen kraftvollen Mann mit starker körperlicher Präsenz vorgestellt. Der alte Mann vor ihm verfügte über nichts davon. Selbst der Eindruck von Würde verschwand, wenn er saß. Er verwandelte sich in ein geschrumpftes Bündel, das in einen dunkelblauen Mantel gewickelt war. Colvan hatte schon von dem Mantel gehört. Er war ein Geschenk des Ostafrika-Protektorats gewesen, als man dem Medizinmann den Titel eines Oberhäuptlings verlieh. Er hatte diesen Mantel erhalten und außerdem sechs Pfund, dreizehn Shilling und vier Pence pro Jahr.
    Sir Percy schwafelte weiter, und Colvan übersetzte. Das war nicht schwierig, sobald man die ausufernden Phrasen auf die nackten Tatsachen reduzierte. Lenana schien sich damit zufrieden zu geben, eher Zeuge als Teilnehmer zu sein. Sein Blick war auf etwas hinter Sir Percys Schulter gerichtet. In der Armbeuge hielt er einen alten eisernen Schürhaken, den kurzfristigen Ersatz für die Eisenkeule des
Laibon,
die ein Verwaltungsbeamter des Protektorats vor einigen Jahren verloren hatte. Colvan nahm hin und wieder etwas von der Person hinter den leeren, verquollenen Augen wahr und fragte sich, wie es diesem stolzen Mann gelang, seine Empörung zu verbergen.
    Es sah so aus, als folgte die junge Frau den Worten des Gouverneurs angespannt und mit vor Konzentration gerunzelter Stirn, als Sir Percy immer blumiger wurde. Colvan fragte sich, wo sie Englisch gelernt hatte.
    »Also kommen wir zu den besonderen Bedingungen des Umsiedlungsabkommens«, begann der Gouverneur.
    »Des zweiten Umsiedlungsabkommens«, warf Colvan ein.
    »Was?« Sir

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