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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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kannte seinen Vornamen, zog »Colvan« aber vor. Es klang nach Kraft.
    Sie reichten einander die Hand. Naisuas Hand war klein, aber sie hatte einen festen Griff.
    »Ich freue mich ebenfalls, dich zu sehen.« Sie lächelte ein wenig schüchtern. »Sei willkommen.«
    »Ihr seid in den letzten Wochen weit gekommen.«
    »O nein! Wir sind wie Flusspferde im Schlamm. So langsam. So langsam.« Sie bemerkte, dass sein Haar länger war und dass in den blauen Augen, die sie insgeheim für die faszinierendsten Augen hielt, die sie je gesehen hatte, immer noch die gleiche Freundlichkeit stand wie damals, als sie sie zum ersten Mal gesehen hatte. »Geht es dir gut?«
    »Gut genug. Und deinem Stamm?« Er nannte ihre kleine Gruppe von Frauen und Kindern immer so.
    »Auch uns geht es einigermaßen gut.«
    »Ich habe zwei Tage gebraucht, um euch zu finden. Ich habe weiter im Norden gesucht.« Er spähte in die Tragschlinge. »Was macht der kleine Seggi? Er sieht aus, als hätte er es dort bequem.«
    »Ich glaube schon. Und er ist wieder gesund. Meine Milch ist ein paar Tage nicht gekommen, und die Kuhmilch hat ihm nicht zugesagt.«
    Er lächelte. Verlegenes Schweigen breitete sich aus. Naisua wandte sich wieder der infizierten Flanke des Ochsen zu.
    »Das ist eine böse Infektion.« Er spähte über ihre Schulter. »Ich hoffe, diese Salbe kann sie heilen.«
    »Mein
Dawa
und das Rindvieh sind schwach und die Dornen stark. Wir verlieren zu viele Tiere. Beinahe die Hälfte ist tot.«
    »Es wird jetzt nicht mehr lange dauern. Ihr werdet bald in den Loita-Hügeln sein.«
    »Und du wirst nach England zurückkehren.« Sie zuckte die Achseln, dann sagte sie in unbeschwerterem Ton: »Dein Maa wird besser, aber du klingst immer noch wie ein Massai aus Nairobi.«
    »Ich brauche noch ein bisschen mehr Übung hier draußen im Rift Valley. Aber vielleicht sollten wir Englisch sprechen.«
    »O nein, das wäre nicht gut. Seit der alte Mr. Mackecknie nach Hause zurückgekehrt ist, ist niemand mehr hier gewesen, um mich zu verbessern.«
    Nun lächelte er nicht mehr. »Ich habe Neuigkeiten. Vom Gouverneur.«
    »Ich weiß, dass es keine guten Nachrichten sind. Wenn es anders wäre, hättest du es gleich gesagt, als du angekommen bist.«
    »Er hat den Widerspruch zur Kenntnis genommen. Ich habe alles getan, was ich konnte, aber er ist unnachgiebig, was die Umsiedlung angeht.«
    »Aha.« Sie senkte den Blick. »Und der Kinangop?«
    »Er sagt, er hätte einen Fehler gemacht, als er euch Zugang zum Berg anbot. Der Kinangop ist nun in die Umsiedlungsbedingungen eingeschlossen. Er ist kein Massailand mehr.«
    »Nicht einmal für das
Eunuto?«
    »Leider nicht.«
    Sie schaute hinaus über die Savanne. Ein Geier kreiste in einer fernen Staubwolke. »Ich verstehe.« Sie seufzte und sammelte die Blätter ein, die sie zur Herstellung der Salbe gebraucht hatte.
    »Es tut mir Leid, Naisua. Er ist ein störrischer, ignoranter Mann.« Er half ihr, die Blätter in ihren Korb zu sammeln, und legte dann die Hand unter ihren Ellbogen, um ihr aufzuhelfen.
    »Es ist schon gut, Colvan. Ich weiß, dass du dein Bestes für uns tust. Es ist mein Versagen. Ich bin nur eine Massaifrau. Selbst Gouverneur Sir Percy Girouard weiß, dass ich keine Autorität habe. Keine Autorität, für mich und meine Familie zu sprechen. Keine Autorität, für die Massai zu sprechen.«
    »Er versteht es einfach nicht.« Seine Hand blieb an ihrem Ellbogen, die weiche Unterseite ihres Arms war warm an seinen Fingerspitzen.
    »Ich danke dir.« Sie tätschelte seine Hand. »Eines Tages wird Seggi der
Laibon
sein. Vielleicht können wir dann noch einmal über die Angelegenheit verhandeln.«
    »Vielleicht.«
     
    Das afrikanische Zwielicht ging in die Nacht über. Weit entfernt, am Ostrand des Tals, ragte der Steilabbruch auf, getrennt von Talboden durch lilablauen Hitzedunst. Insekten zirpten. Irgendwo im Dunkeln warteten die nächtlichen Jäger auf ihren Auftritt auf der Nachtbühne. Das Great Rift Valley hielt den Atem an.
    Ihr Lager befand sich nahe dem westlichen Steilabbruch. Der obere Rand der Klippen ragte über ihnen auf, zeichnete sich vor einem immer noch orangegoldenen Himmel ab. Colvan begann seine magischen Spiele mit den Kindern. Sie saßen ehrfurchtsvoll im Halbkreis auf der gegenüberliegenden Seite des Kochfeuers. Selbst die Vierjährige war still. An diesem Ablauf hatte sich nichts geändert, seit Colvan das Spiel am ersten Abend ihrer Wanderung erfunden hatte, aber die Kinder wurden

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