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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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Percy sah ihn fragend an. Er mochte es nicht, wenn seine offiziellen Ansprachen wegen Banalitäten unterbrochen wurden.
    »Es ist das zweite Abkommen. Das erste wurde von uns gekündigt.«
    »Ja … Also, wie ich schon sagte, Lenana, du hast den allgemeinen Bedingungen des zweiten Umsiedlungsabkommens bei den Vorverhandlungen mit meinem Assistenten Mr. Fothergill hier zugestimmt.«
    Fothergill strahlte.
    »Bei diesen Diskussionen hast du ein paar Themen aufgebracht. Ich kann bestätigen, dass das Ostafrikaprotektorat Seiner Majestät zustimmt, dass der Mount Kinangop weiterhin Massailand bleibt, damit dort weiterhin alle sieben Jahre die
Eunoto-
Zeremonien stattfinden können.« Sir Percy ließ einen selbstzufriedenen Blick über die kleine Menschenmenge schweifen. »Was allerdings die Bitte um Hilfe der Regierung beim Transport von Rindvieh, Schafen et cetera angeht« – er verzog das Gesicht zu einer schulmeisterhaften Grimasse –, »so haben wir sehr sorgfältig darüber nachgedacht, können aber leider nicht zustimmen. Das lässt sich nicht machen. Dafür haben wir keine Mittel. Mr. Colvan hier« – er bewegte den Arm in Colvans Richtung – »wird allerdings als Verbindungsmann dienen, um dafür zu sorgen, dass ihre eure Umsiedlung so schnell wie möglich durchführt.«
    Colvans Übersetzung dauerte relativ lang, denn sie enthielt auch einige seiner eigenen Gedanken über die Möglichkeiten zum Einspruch, die die Massai hatten. Lenana wandte sich ihm zu und sah ihn vielleicht zum ersten Mal wirklich an.
    Gouverneur Girouard fuhr fort. »Also muss der Oberhäuptling jetzt nur noch das Verständnismemorandum unterzeichnen. Fothergill, die Papiere bitte.«
    Lenana setzte mit ausdrucksloser Miene sein Zeichen unter die Urkunde. Sir Percy schüttelte ihm die Hand und ging weiter zu den anderen Ältesten. Colvan zögerte, bevor er vortrat und Lenenas schlanke, kalte Finger ergriff. Der alte Mann vermied jeden Augenkontakt und ließ sich auch sonst nicht anmerken, dass er Colvan überhaupt wahrgenommen hatte.
    Colvan hatte etwas sagen wollen, konnte aber keine Worte finden.
Ich bedauere, ein Teil dieser Travestie zu sein.
Und:
Es macht mich wütend, dass wir dir nicht nur dein Land, sondern auch deine Würde genommen haben.
Stattdessen stand er verlegen da, während Lenana tiefer in seinen Mantel sank und dann langsam den Platz unter dem Baum verließ. Die junge Frau setzte dazu an, dem
Laibon
zu folgen, aber als sie an Colvan vorbeikam, drehte sie sich kurz zu ihm um. Er konnte ihre Miene nicht deuten. Er erwartete Tadel, vielleicht sogar Verachtung oder Abscheu, aber er sah nichts davon. Sie schien etwas sagen zu wollen, aber dann schwieg sie.
    Lange nachdem sie weg war, sah er immer noch diese suchenden Augen, alte Augen für eine so junge Frau, die tief in ihn hineinschauten. Er fragte sich, was sie dort gesehen hatte.
    1913
    Das Bündel in ihrer Tragschlinge hatte endlich aufgehört zu zappeln. Naisua zupfte sanft daran, um das Gewicht in die Mitte zu verlagern. Ihr Zweijähriger war zu klein für sein Alter; er hatte nach seiner Geburt nie richtig aufgeholt. Es war für sie beide eine schwere Zeit gewesen. Seggi war ihr erstes Kind, sie hatte nicht gewusst, was sie zu erwarten hatte, und so bald nach Lenanas Tod hatte es ihr alle Kraftreserven genommen. Aber so klein Seggi auch sein mochte, seine lederne Tragschlinge schnitt in die weiche Haut von Naisuas schmalen Schultern, und die Druckstellen hatten von einem langen Tag bis zum nächsten keine Zeit zum Heilen.
    Sie verschob die Träger, bis sie sich etwas bequemer anfühlten, dann drohte sie den Schafen und Ziegen mit dem Stock. Die kleine verdreckte Herde bewegte sich auf die Rinderherde zu; die Tiere waren beinahe zu schwach, um ihren Protest hinauszublöken.
    Überall auf der Ebene, von Horizont zu Horizont, waren Staubwolken zu sehen. In jeder davon befand sich eine kleine Herde, ganz ähnlich wie die von Naisua, mit ihrem Besitzer und seinen Kindern, die versuchten, das störrische Vieh weiter nach Süden zu treiben. Die Frauen folgten, trugen die kostbare und geringe persönliche Habe und trieben eine Kuh oder einen Ochsen an, der mit Haushaltsgegenständen beladen waren. Ältere Familienmitglieder stolperten hinterher. Die Schwachen konnten sich dem Familienverband erst anschließen, nachdem das Lager für die Nacht schon lange aufgeschlagen war. Einige schafften es auch überhaupt nicht und verloren ihr Leben an die Hitze oder ein

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