Die Tränen der Massai
machiavellianischen Ader, Angehöriger der so genannten Subkontinent-Mafia. Seine Clique beherrschte die Personalabteilung in Genf. Bhatra hatte schon häufig Angestellte, die sich seinem Stil nicht anpassen wollten, für den Rest ihrer Einstellungszeit auf die schwierigsten Posten versetzen lassen.
Jack stand auf, schob vorsichtig den großen Ledersessel wieder an Ort und Stelle und sagte: »Ich denke, wir verstehen einander hervorragend, Bhatra.«
James Onditi war verärgert. Er trank noch einen Schluck Tee, aber das Getränk hatte zu lange gezogen und war zu wenig gesüßt. Trotz seiner Anstrengungen während dieses Jahres im Amt für regionale Entwicklung hatte das dumme Mädchen, das ihm den Tee brachte, wieder mindestens einen der vier Löffel gesüßter Kondensmilch vergessen. Er würde dafür sorgen, dass sie davon erfuhr, wenn er sie zum nächsten Mal sah.
Er stellte die Tasse fest auf dem Unterteller ab und verursachte damit drei braune Flecke auf dem Papierstapel vor ihm. Dann stützte er die Handflächen auf den Schreibtisch, stemmte sich hoch und schob seinen Stuhl so heftig zurück, dass er über den Vinylboden rollte. Der Stuhl krachte gegen den Schreibtisch zwei Meter hinter ihm, aber Onditi stürmte davon und ignorierte die Blicke seiner Kollegen.
Die Papiere zur Verlängerung des Langata-Projekts waren nirgendwo zu finden. Die Luo im Hauptarchiv musste ihm die falschen geschickt haben. Man sollte annehmen, dass jemand bei der Stellenbesetzung mehr Verstand an den Tag gelegt hätte. Selbst Kikuyu wären besser gewesen. Zumindest verstanden sie etwas vom Geschäft. Aber Luos mit ihrer trägen Art, zu sprechen, und ihrem noch trägeren Denken waren hoffnungslos.
Und Massai sind genauso schlimm, dachte er, als er wieder an das Mädchen bei AmericAid denken musste. Sie ärgerte ihn, weil sie seine Annäherungsversuche abwies, und noch wütender machte es ihn, dass es für ihn selbst so wichtig geworden war, sie ins Bett zu bekommen. Für gewöhnlich war er bei solchen Dingen ziemlich erfolgreich. Was für ein eingebildetes Biest.
Haki ya Mungu!
Sie mit ihrem
Mzungu-
Getue. Nur weil sie für eine amerikanische Firma arbeitete. Sie glaubt, sie ist zu gut für einen Kalenji. Nun, dachte er, ich werde es ihr zeigen!
Die Luo-Archivarin war nirgendwo zu finden. Er stand wutschnaubend vor dem leeren Schreibtisch und bemerkte nicht einmal die Sekretärin, die ein paar Schritte entfernt nervös die Finger verschränkte und wieder löste. Als er sich ihr zuwandte, trat sie unwillkürlich einen Schritt zurück, bevor sie rief: »Mr. Onditi!« Ihre Lippe wurde weiß, als sie darauf biss.
»Ja?«
»Mr. Onditi«, sprach sie atemlos weiter. »Jemand von den Vereinten Nationen ist hier. Er sagt, er hat um zehn eine Besprechung mit Ihnen.«
Er sah sie mürrisch an.
»Ein
Mzungu.
Aus dem UN -Büro im Kenyatta-Zentrum.«
»Wo ist er?«, fauchte Onditi noch wütender. Diesen Termin hätte er beinahe vergessen!
»Am Empfang. Soll ich ihn in Konferenzraum zwei schicken?« Sie wirkte, als wäre sie den Tränen nahe.
»Sagen Sie ihm, er soll an der Tür warten.« Er musste zunächst sein Gedächtnis ein wenig auffrischen. Die Kontakte zu den UN waren zu wichtig, um etwas zu übereilen.
Er marschierte den Flur entlang in sein Büro. Die
Wazungu
von den Vereinten Nationen wurden langsam schwierig. Wenn sie sich bei einem ihrer Projekte überall im Narok-Distrikt herumtrieben, drohte das, die kleine Schmuggeloperation zu behindern, bei der James Onditi seinem Onkel Nicholas half.
An seinem Schreibtisch schloss er die Schublade auf und suchte nach seinen privaten Unterlagen. Dann griff er nach der offiziellen Akte, schloss die Schublade wieder ab und machte sich auf den Weg zu seinem Besucher.
Es war schon schwierig genug. Dieser andere
Mzungu,
Richard Leakey, hatte die Ranger in seinen Nationalparks bewaffnet und ihnen befohlen, auf Wilderer zu schießen. Er war viel zu ehrgeizig geworden, seit der Präsident ihn zum Direktor der National- und Naturparkverwaltung gemacht hatte. Dieser neueste Plan des UNDP würde es Leakey zu einfach machen, seine Operationen auch auf Regionen außerhalb der Parks auszudehnen. Er hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass er seine Suche nach Elfenbein- und Rhinozeroshornwilderern ausweiten wollte.
Onditis Onkel Nicholas, der Minister für Bodenverwaltung, hatte seine Beziehungen ausgenutzt, um seinen Neffen im Amt für regionale Entwicklung zu platzieren, wo er die
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