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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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oder es kam vom
Chang’aa,
den er dieser Tage dem Bier vorzog. Früher hatte Penina ihn einfach schwafeln lassen, bis er endlich fertig war, aber in der letzten Zeit hatte er darauf bestanden, dass sie sich seine Tiraden anhörte. Wenn sie sich nicht mitleidig zeigte und ihm in allem zustimmte, wandte er sich gegen sie und beschimpfte oder schlug sie, bis sie floh. Sie hatte gelernt, als stumme Zeugin seines Zorns in der Ecke der Hütte zu sitzen, während er versuchte, sie zu einem Streit zu provozieren. Aber nun war sie zu der Übelkeit erregenden Erkenntnis gelangt, dass er bei all seinem Gerede einfach nur eine Ausrede suchte, um sie zu schlagen, und dass die Gewalttätigkeit ihm die sexuelle Erregung verschaffte, die er mit anderen Mitteln nicht erreichten konnte.
    Noch mehr beunruhigte sie, welch alarmierende Auswirkungen seine Ausbrüche auf Malaika hatten. In der Vergangenheit war die Kleine beim ersten Anzeichen von Gewalt aus der Hütte geflohen. Nun schien sie vor Angst zu erstarren und zog sich in eine Ecke der Hütte zurück, wo ihr Weinen wie die Schreie eines kleinen Waldgeschöpfs klang, das die Zähne eines schrecklichen Raubtieres spürt.
    Als Mengoru vor drei Tagen Hamis’ Geschenk gefunden hatte, war er schrecklich wütend geworden. Die körperlichen Spuren seiner Schläge hatten bereits begonnen zu heilen, aber Peninas Herz und ihr Gemüt waren tödlich verwundet. Ihr Leben wäre unerträglich gewesen, hätte sie nicht eine Fluchtmöglichkeit in eine Fantasiewelt gefunden, wo sie mit einem Fantasiemann lebte. Ein freundlicher Mann, der sie liebte und sich um sie und ihre Kinder kümmerte. Dieser Mann, der sie all diese Jahre geliebt und geschätzt hatte, hatte lange Zeit keinen Namen und kein Gesicht gehabt. Aber in den letzten Wochen hatte er begonnen, wie Hamis auszusehen. Hamis mit den breiten Schultern und den starken Armen. Hamis mit dem freundlichen Lächeln. Hamis, der die Kraft hatte, sie aus ihrem Elend zu reißen.
    »Hamisi!«
    Malaikas Ruf erschreckte Penina. Es war, als hätte ihre Tochter ihre Gedanken gelesen. Als sie sich umdrehte, sah sie eine Szene aus ihrer Fantasiewelt. Dort war Hamis, der Hand in Hand mit Malaika auf sie zukam und sie anlächelte. Penina fand keine Worte, aber eine Welle von Erleichterung schwappte über sie hinweg, als hätte man ihr die Todesstrafe erspart.
    Hamis’ Lächeln verschwand, als er nahe genug war, um ihre blauen Flecken zu sehen. Penina schlug die Hände vors Gesicht und verspürte unerklärliche Scham. Er nahm sie sanft bei den Handgelenken, um sich ihr Auge anzusehen. Sie brach in Tränen aus und fiel ihm in die Arme. Er umarmte sie, bis sie aufhörte zu schluchzen.
    »Wann ist das passiert, Penina?«
    »Vor drei Tagen«, schniefte sie.
    »Ich werde mich um ihn kümmern.«
    »Nein! Das darfst du nicht! Er hat in der letzten Zeit immer eine Bande Schläger bei sich. Sie werden dich umbringen!«
    »Ich mache mir mehr Sorgen um dich.«
    »Es geht mir gut. Aber du musst gehen.«
    »Komm mit mir.«
    Sie wich vor ihm zurück. »Das ist unmöglich. Er wird uns finden. Du darfst so etwas nicht sagen. Ich …« Sie wischte sich das Gesicht ab und hob den Kopf, aber sie konnte ihm nicht in die Augen sehen und schaute stattdessen ins Tal hinter ihm. »Wie … wie hast du mich hier gefunden?«
    »Im Dorf haben sie mir gesagt, dass du hier heraufgegangen bist.«
    Sie erschrak. Mengoru würde sicher davon hören. »Du bist früh zurückgekommen. Es waren nur drei Wochen.«
    »Ich war in Narok. Ich habe alles stehen lassen, um hierher zu kommen, damit ich dich sehen konnte, bevor ich weiter nach Nakuru gehe.« Er streckte die Hand aus. »Komm mit mir. Nimm die Kinder und komm auf der Stelle mit mir.«
    »Nein.« Wieder wich sie zurück. »Malaika! Komm! Wir müssen ins Dorf zurück.«
    Hamis stand verlegen da. Er wirkte so unglücklich, dass sie ihr Verhalten bedauerte, aber sie wagte nicht, weiter über das nachzudenken, was er gesagt hatte. Sie griff nach Malaikas Hand und ging nach Hause, ohne einen Blick zurück zu riskieren.
     
    Mengoru fiel beinahe durch die Tür der Hütte. Seine Hose war voller Schlammflecken. Er stolperte auf das Kochfeuer zu, wo Penina mit einem Topf heißer Hirse stand. Sein Atem hatte den sauren Geruch von
Chang’aa.
    »Aha!«, sagte er und schaute sich mit geröteten Augen in der Hütte um. »Meine Frau ist allein.«
    Sie wandte sich von ihm ab.
    Ein leises Geräusch kam aus der Ecke. Malaika drängte sich gegen die Wand.

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