Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
hatte und sie sich weigerte, in Konkurrenz zu ihrer Mutter zu treten.
»Mein lieber Cousin«, wandte sie sich jetzt an ihn, »wisst Ihr auch, was Euch Jeannette noch servieren wird, ehe Ihr von diesem Tisch aufsteht, und was ich nicht zu mir nehmen werde?«
Ihr Ton war nicht aufreizend, höchstens ein wenig streitlustig. Als sie ihre Mutter lächeln sah, wusste sie, dass sie die Antwort kannte.
Im Grunde gefiel nur Antoinette die Wendung nicht, die das Gespräch zu nehmen schien. Lieber Himmel! Konnte dieses Kind nicht lieber Mandelmilch als diesen viel zu schweren Wein trinken?
Antoinette versuchte herauszufinden, was Marguerites vielsagendes Lächeln bedeuten mochte. Offenbar wollte sie den Duc de Bourbon nicht provozieren. Und wenn doch, hätte sie diesen Impuls bestimmt sofort unterdrückt, um nicht das Missfallen ihrer Mutter zu erregen. Daraus schloss Antoinette, dass Marguerite sich über etwas geärgert hatte und sich wohl Luft machen wollte.
»Großer Gott! Was könnte mir denn Eure Jeannette verabreichen, was Ihr auf keinen Fall zu Euch nehmen wollt?«
Er warf einen vorwurfsvollen Blick auf den Becher Wein, den Marguerite gerade geleert hatte. Sie bückte sich und streichelte den flauschigen kleinen Kopf von Prunelle, die neben ihr auf dem Boden lag.
»Saure Milch mit Glühwein, mein lieber Cousin. Dieses Gebräu soll erstaunlich aphrodisische Wirkungen haben. Deshalb heißt es auch auf Lateinisch ›posset‹. Meine Mutter mag es sehr, Ihr könnt es Euch teilen.«
Das hatte sie so scherzhaft gesagt, dass jeder lachen musste, ohne lange über den kaum verhohlenen Spott nachzudenken.
Wie es damals Sitte war, nahm sich Marguerite mit den Fingern
ein Stück Ente und winkte dem Diener, der sofort zu ihr eilte und ihr von dem herben, schweren Wein nachschenkte, den Louise aus dem Angoulême kommen ließ.
Bourbon saß sehr aufrecht – er trug ein elegantes rotes Seidenwams, das mit Juwelen bestickt war – und sah Marguerite beim Trinken zu.
Marguerite führte den Kelch an ihre Lippen, nahm einen Schluck und hielt dann plötzlich inne. Als Prunelle ganz überraschend auf ihren Schoß sprang, machte sie eine erschrockene Bewegung mit der Hand, in der sie den Kelch hielt, und verschüttete den Wein. Die rote Flüssigkeit ergoss sich über ihren Hals und lief ihr ins Dekolleté.
»Du liebe Güte!«, rief Antoinette, »Ihr habt Euer schönes Kleid bekleckert!«
Prunelle hatte sich vor lauter Schreck aus dem Staub gemacht. Wahrscheinlich war sie in die Küche geflüchtet, jedenfalls ließ sie sich nicht mehr blicken.
Der Diener kam angelaufen, in der einen Hand hielt er eine Schale mit warmem Wasser, in der anderen eine große Serviette aus Delfter Baumwolle. Er tauchte die Serviette ins Wasser und wollte sie Marguerite reichen.
»Ich fürchte, die Weinflecken gehen nicht mehr raus«, meinte Louise betrübt.
»Doch, doch, Mutter, bestimmt«, erwiderte Marguerite und griff ungeduldig nach dem nassen Stoff.
Da nahm ihr Charles die Serviette plötzlich aus der Hand und beugte sich zu ihr. Als er ihren Hals damit abtupfen wollte, wich sie zurück.
»Bitte nicht, lieber Cousin! Es ist nicht weiter schlimm. Ich lasse das Kleid waschen. Ich will das hier nicht selbst machen«, sagte sie hastig und sprang auf.
»Außerdem bin ich ziemlich müde, Mutter. Ich gehe schlafen. Bitte entschuldigt, wenn ich Euch nicht länger Gesellschaft leisten kann.«
Es war sicher besser, ihre Mutter mit Charles allein zu lassen, ehe der reichlich genossene Wein die Gemüter zu sehr erhitzte.
»Ich begleite Euch, mein Schatz«, sagte Antoinette und stand ebenfalls auf. »Ich bin einfach schon zu alt für diese endlosen Soupers. Bis morgen, Louise.«
Sie machte einen etwas steifen Knicks vor Charles und sagte: »Bitte entschuldigt mich, Herzog. Ich wünsche Euch noch einen schönen Abend.«
»Aber du hattest ja noch gar kein Dessert, mein Kind!«, sagte Louise zu ihrer Tochter.
»Ich habe wirklich keinen Hunger mehr. Macht Euch keine Gedanken um mich, Mutter. Gute Nacht!«
Sie zögerte einen Moment, ging dann aber doch zu ihrer Mutter und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Bitte erlaubt, dass ich Euch noch etwas frage, ehe ich Euch allein lasse. Ich möchte gern nach Blois.«
»Du willst nach Blois? Jetzt, mitten im Winter!«
»Was macht das schon aus, ob Sommer oder Winter ist? Ich habe große Sehnsucht nach François, und der König hat mir doch erlaubt, dass ich ihn jederzeit besuchen darf. Darf ich, Mutter?
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