Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
liebste Etappe, ehe es von Grenoble aus an die Überquerung der Alpen ging.
In der prunkvollen Lyoner Hauptstadt traf sich also die Hochfinanz, um diesen ganzen Handel mit Luxusgütern in klingende Münze umzusetzen. Zu diesen zahllosen Unterredungen gesellten sich außerdem Baumeister, Bildhauer, Juweliere und Dekorateure aller Art wie die berühmten Gärtner und Baumzüchter, die in den königlichen Residenzen in Rom oder Florenz für die Anlage prächtiger Garten und Parks verantwortlich waren.
An diesem Tag wimmelte es im Haus des Lyoner Stadtvogts nur so von diesen Leuten. Der Vogt war um die fünfzig, offen für neue Ideen und ein großer Freund der Renaissance, die überall aufkam,
ehrgeizig und gut ausgestattet mit Florins und Golddukaten. In seinem gastfreundlichen Haus gingen alle großen Künstler ein und aus, die an den europäischen Königshöfen berühmt und angesehen waren.
Er hatte sich sein geräumiges Haus von Renaissancemalern ausstatten lassen, was vor allem jene in Entzücken versetzte, die noch nicht richtig im neuen Jahrhundert angekommen waren, das prachtvoll zu werden versprach.
Weil sich Sire Van de Veere an den feindseligen Vogt von Dijon und dessen heftigen Streit mit Alix erinnerte, war er auf der Hut, als er sie dem Vogt von Lyon vorstellte. Doch diese Vorsicht erwies sich als unnötig, hier hatten sie es mit einem ganz anderen Mann zu tun. Und dass er sich die hübsche Alix sehr genau ansah, lag auch daran, dass er sich fragte, wie eine so charmante Frau allein, nur mit der Unterstützung ihrer Angestellten, einen so großen Auftrag wie den für den König ausführen konnte.
Als sich der Vogt im Laufe des Winters einen Tag in Tours aufhielt und hörte, dass die sechs historischen Wandteppiche für den König in ihren Werkstätten ausgestellt waren, war er allein und inkognito hingegangen, weil er sich nicht beeinflussen lassen wollte. Die Tapisserien hatten ihn zutiefst beeindruckt, aber er hatte noch keinem von seinem heimlichen Besuch erzählt.
»Ich würde mich gern mit Euch unterhalten, bevor Ihr wieder abreist«, hatte er nur zu ihr gesagt, ehe ihn Alessandro mit Beschlag belegte.
Van de Veere vertiefte sich in ein Gespräch mit dem Vogt und ließ Alix allein. Sie sah sich unter den Gästen um und versuchte herauszufinden, wen sie bereits kannte oder wem sie zumindest schon einmal über den Weg gelaufen war. Als ihr jemand auf die Schulter tippte, war sie nicht weiter erstaunt.
»Catherine!«, rief sie erfreut, als sie sich umgedreht hatte.
Die beiden Frauen umarmten und begrüßten einander herzlich und erzählten sich dann, begeistert über diese glückliche Fügung, die neuesten Anekdoten aus der Touraine. Arm in Arm gingen sie in eine ruhige Ecke, um sich ungestört unterhalten zu können.
»Seid Ihr allein hier?«, wollte Alix wissen und musterte das ernste Gesicht ihrer Freundin.
»Onkel de Beaune ist in den Norden gereist, wo er einen Baumeister finanziell unterstützen will, der mehrere große Residenzen in Lille und Arras baut. Dass mein Mann in Italien ist, wisst Ihr ja. Diesmal mache ich mir große Sorgen, weil er meinen jüngeren Bruder mitgenommen hat, der völlig unerfahren ist, was das Kämpfen anbelangt. Und mein Gatte, Sire Bohier, wird vermutlich kaum die ganze Zeit hinter ihm stehen und ihm sagen, was gefährlich ist und was nicht.«
»Ist Euer Bruder noch so jung?«
»Nein, eigentlich nicht. Er ist dreißig, aber der Jüngste aus unserer Familie. Ich bin die Älteste und war immer das Oberhaupt der Familie Briçonnet.«
»Wurde er nicht zum Geschäftsmann erzogen?«
»Oh doch. Genau wie ich hat er alles über Geld und nichts über den Krieg gelernt. Als mein Mann und ich begriffen, dass unser Sohn unbedingt Priester werden wollte, haben mein Vater und er sich mit meiner Zustimmung auf ihn als Nachfolger geeinigt. Wir wollten einen weiteren Finanzfachmann in der Familie, und mein jüngerer Bruder besaß sämtliche Voraussetzungen dafür.«
Catherine seufzte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. In den großen Räumen stand die Luft, und es war sehr heiß.
»So ist nun einmal das Leben. Die französischen Könige sind verrückt mit ihren ständigen Feldzügen nach Italien. Alles Geld geht in die Truppen, die Artillerie und die Kavallerie.«
»Bringen sie denn nicht von jedem Kriegszug große Kostbarkeiten mit?«
»Das ist kein Ersatz für die Unsummen, die die Kriege verschlingen. Das Volk wird ungeduldig und beklagt sich über die hohen
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