Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Bitte!«
Louise war schnell überredet. Wie hätte sie ihrer Tochter diesen Wunsch abschlagen können?
»Also gut, einverstanden. Gleich morgen schicken wir einen Boten, der deinen Besuch ankündigen soll. Ich möchte, dass dich Blanche begleitet.«
Sie nahm die Hände ihrer Tochter. Marguerite hatte rote Backen, und ihre Augen funkelten vor Freude.
»Ich könnte ein paar Wochen bleiben, wenn Ihr nichts dagegen habt. Ihr könntet später nachkommen, Mutter, wenn unser Cousin abgereist ist.«
Sie bedachte Bourbon mit einem eisigen Lächeln, einem dieser kleinen Mienenspiele, die so harmlos wirken und doch tiefes Missfallen ausdrücken. Louise hatte das Lächeln ihrer Tochter nicht bemerkt. Mit langsamen, beinahe unschlüssigen Bewegungen nahm sie ihre grüne Seidenhaube ab und reichte sie René.
Einzelne rote Locken kringelten sich um ihren Hals, die anderen Haare waren zu einem dicken Knoten gebunden. ›Höchste Zeit, dass Antoinette und ich gehen‹, dachte sich Marguerite, ›Mutter will offensichtlich mit Charles allein sein.‹
»Natürlich sollst du deinen Bruder besuchen, mein Schatz, so oft und so lange du willst. Und dein Vorschlag, zu dir nach Blois zu kommen, wenn Charles nicht mehr hier zu Besuch ist, gefällt mir auch sehr gut.«
»Ich wusste doch, dass Ihr nichts dagegen haben würdet, Mutter!«
Sie umarmte und küsste ihre Mutter noch einmal und lief dann zu Antoinette, die schon auf sie wartete.
In der Tür stießen sie fast mit Catherine zusammen, die in heller Aufregung schien. Sie lief zu ihrer Herrin und wartete unentschlossen, ob sie stören dürfte. René wollte erst zu ihr, besann sich aber und blieb weiter stocksteif hinter der Comtesse stehen.
»Nun, was gibt es denn so Wichtiges?«, fragte Louise. »Ist dir denn eine Laus über die Leber gelaufen, Catherine?«
Catherine hatte ihre Schürze in die Hand genommen und knetete sie nervös mit den Fingern. Der Diener kümmerte sich nicht um das Zimmermädchen und servierte Obstkuchen, Vanille- und Schokoladencremes, Konfitüren und Mandeldragees.
»Also, es ist so …«, begann Catherine. Plötzlich merkte sie, dass
sie ihre Schürze in der Hand hielt, und strich sie schnell wieder über dem hübschen graublau gestreiften Kleid glatt.
»Lieber Himmel! Jetzt sag endlich, was los ist, Catherine«, fragte Louise allmählich ungeduldig.
»Der Kamin im Zimmer unten raucht so, dass man keine Luft bekommt.«
Das geräumige Schlafzimmer im Erdgeschoss mit seinen großen Terrassentüren bewohnte die Comtesse d’Angoulême, wenn es sehr kalt war. Es lag direkt neben der Bibliothek, und Louise hatte ihren Schreibtisch hinunterbringen lassen, damit sie ihre Lektüre, ihre Korrespondenz und die regelmäßigen Einträge in ihr Tagebuch fortsetzen konnte.
Erst kürzlich waren die alten Holzbalken ausgetauscht und die neuen Wandteppiche aufgehängt worden. Louise hatte es seitdem noch nicht bezogen, obwohl es schon seit längerer Zeit kalt war.
»Kann man den Kamin nicht kehren lassen?«
»Nein, Madame«, jammerte Catherine. »Die Kaminkehrer sind vorgestern weg, weil sie noch andere Aufträge hatten.«
»Gibt es denn hier keinen, der diese Arbeit erledigen kann? Dieses Problem hatten wir ja noch nie. Raucht es denn wirklich so stark?«
»Man sieht die Hand vor Augen nicht, und es ist so verraucht, dass man zu ersticken glaubt. Man kann es kaum länger als zwei Minuten in dem Zimmer aushalten.«
»Ich fürchte, wir müssen uns mit dem Zimmer begnügen, das ich zurzeit bewohne, Liebster«, sagte Louise zu Charles und lächelte ihn an. »Aber ich bin sicher, es wird Euch gefallen, und wir können es uns dort gut gehen lassen.«
17.
Lyon war wichtiges Handelszentrum und Drehscheibe zwischen Frankreich, Italien und den Ländern im Osten, Griechenland, Zypern, Konstantinopel und Trapezunt, wichtige Stützpunkte für den blühenden Handel mit Seide, Stoffen, Tapisserien und anderen Luxusgütern, weshalb sich Bankiers, Maler und Weber ständig in dieser Stadt begegneten. Diese Treffen fanden auf den großen Jahrmärkten, bei Empfängen und festlichen Diners statt, oder wenn königlicher Besuch in Lyon war – seit Karl VIII. hielten sich die französischen Monarchen nämlich regelmäßig einige Zeit dort auf. So kam es auch, dass der Hof von Lyon zum Wegbereiter neuer Ideen wurde.
Die Könige wussten, warum! Wenn sie nach Neapel oder Mailand aufbrachen, war Lyon ihre erste – auf dem Rückweg dann die letzte – und bestimmt auch ihre
Weitere Kostenlose Bücher