Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
die sind für Euch.«
»Was verlangt Ihr dafür, wenn ich sie verwende?«, fragte Alix ihn freudestrahlend.
»Das werde ich mit Eurem Freund Alessandro verhandeln.«
»Nein, bitte nicht. Ich möchte alleinige Besitzerin dieser Kartons sein, sie ganz nach meinen eigenen Vorstellungen verwenden und die Tapisserien nach Euren Zeichnungen verkaufen können, an wen ich will.«
»Und an wen denkt Ihr dabei, wenn ich fragen darf?«
»An den künftigen König von Frankreich.«
»An den Mann also, den Ihr François nennt?«
»Ja, an ihn. Ich möchte nicht, dass Alessandro meine Pläne durchkreuzt, und deshalb will ich, dass mir die Kartons ganz alleine gehören.«
Raffael runzelte fragend die Stirn.
»Wo könnte Alessandro denn Teppiche mit Reproduktionen meiner Zeichnungen anbieten?«
»Natürlich in Flandern, wo er seine Kontore hat.«
Alix war hartnäckig und ließ sich nicht von ihren Vorstellungen abbringen. Störrisch schüttelte sie den Kopf.
»Ich werde die Kartons bezahlen, Maître Raffael. Alle! Ich zahle Euch einen angemessenen Preis.«
Er wollte etwas sagen, aber sie ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen.
»Es hat keinen Sinn, länger zu diskutieren. Nehmt es einfach, wie es ist. Gleich morgen suche ich mir einen seriösen Makler, nachdem Alessandro nicht hier ist, und leihe mir die nötige Summe. Spätestens in ein paar Tagen bekommt Ihr Euer Geld.«
»Wie Ihr meint, ich will mich nicht sträuben.«
Noch einmal blätterte er in seinen Zeichnungen, bis er einen kleinen Karton fand und ihn Alix gab.
»Den gebe ich Euch noch dazu. Ihr könnt ihn beliebig vergrößern. Ich nenne das Bild Grotesken .
»Es ist wunderschön.«
Alix studierte die seltsame Mischung aus floralen Motiven, Arabesken und kleinen Köpfen überall auf den breiten Rändern, die merkwürdigerweise beinahe den gesamten Karton für sich beanspruchten. In der Mitte war nur ein ganz kleines Medaillon, auf dem ein halbnackter Greis seinen Arm gen Himmel reckt.
»Die Farben könnt Ihr selbst aussuchen«, sagte er zu Alix, die das Bild fachkundig und entzückt zugleich betrachtete. »Aber wenn Ihr mich fragt, wäre ich für Mischtöne.«
»Hellblau, Beige und helles Ocker vielleicht«, meinte Alix, die ganz seiner Meinung war.
»Ja, und Terra di Siena, Grün und Blau sollten in Richtung Grau gehen«, nickte der Maler. »Ich sehe schon, Ihr habt es verstanden, Alix. Diese Tapisserien werden keine Millefleurs.«
Alix vertiefte sich so in den Anblick der Zeichnungen, dass sie sie schon als Teppiche auf ihren Hochwebstühlen hängen sah. Was Mathias wohl zu dieser Pracht sagen würde? Bestimmt war er viel empfänglicher für einen neuen Stil als Arnold, der vermutlich lieber bei den traditionellen Millefleurs bleiben würde. Julio war noch jung und offen für neue Entwicklungen; er würde vielleicht religiöse Motive einfließen lassen oder die Teppiche mit biblischen Szenen ausschmücken.
Beim Betrachten von Raffaels Zeichnungen wurde Alix klar, dass sie es in Zukunft genau umgekehrt machen musste: ein Blumenmotiv in einem kleinen, zentralen Medaillon und darum herum eine breite Bordüre mit historischen Szenen.
»Wenn ich hier in Eurem Atelier stehe und eine Ahnung davon bekomme, wie die Renaissance in Frankreich aussehen wird,
Meister Raffael, sehne ich mich plötzlich danach, nach Hause zu fahren und mich wieder an die Arbeit zu machen«, platzte es unvermittelt aus ihr heraus, und sie deutete auf die Schüler vor ihren Staffeleien.
»In Alessandros Armen und in froher Erwartung meines Kindes hätte ich beinahe alles andere vergessen!«
»Ihr habt ganz recht. Geht zurück in Eure Werkstatt, Alix. Ich kann Euch nur dazu raten. Nachdem Ihr Euch hier inspiriert habt, braucht Ihr Florenz nicht mehr. Jetzt müsst Ihr all die Anregungen, die Ihr hier gefunden habt, zu Hause in die Tat umsetzen.«
Auf dem Heimweg fiel ihr ein, dass sie die kleinen Florentiner Werkstätten gar nicht erwähnt hatte, in denen sie auch sehr wertvolle Entdeckungen gemacht hatte. Aber sie hatte sich alles gemerkt. Jetzt wusste sie, wie sie ihre Figuren gestalten würde. Sobald sie zu Hause war, wollte sie sich Augustus und die Sibylle wieder vornehmen und das Ensemble im Stil der italienischen Renaissance weben.
24.
An dem Tag, an dem Alix beschlossen hatte, nach Frankreich zurückzukehren, erfuhr sie von Charles d’Amboise, dass sein Onkel, Kardinal Georges d’Amboise, im Kampf gefallen war. Mehrere französische Bischöfe, unter ihnen auch
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