Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Jean de Villiers, und einige Financiers, wie der Florentiner Alessandro Van de Veere und die Franzosen Briçonnet und Bohier, waren in einen Hinterhalt der Venezianer geraten. Man hatte sie ins Gefängnis geworfen, wo sie von den Soldaten des Dogen Leonardo Loredan bewacht wurden.
»Ich will zu ihm, Constance. Wir müssen ihn finden. Außerdem will ich auch Jean zu Hilfe eilen. Ohne ihn wäre ich nie geworden, was ich heute bin.«
»Das ist viel zu gefährlich, Alix. Es wird uns nicht gelingen, und du kommst bald nieder.«
Aber Constance spürte, dass ihre Cousine sich bereits entschieden hatte. Nichts würde sie von diesem Plan abbringen.
»Schließlich bin ich nicht allein – das hast du mir selbst oft genug gesagt. Ich habe volles Vertrauen in Leo, Angela begleitet mich bestimmt, und dann muss auch Tania mit, denn sie kann nicht allein hierbleiben. Théodore schließt sich uns vermutlich auch an, weil er sonst vielleicht seine Schwester nie wiedersieht.«
Charles d’Amboise machte Alix den Vorschlag, sie zu begleiten, weil er ohnehin nach Venedig musste, um den Leichnam seines Onkels zu holen und nach Frankreich zu bringen.
»Ich danke Euch, Seigneur d’Amboise, und nehme Eure Hilfe gern an. Das erleichtert mir die Sache sehr.«
Alix wollte keine Zeit verlieren und gleich am nächsten Tag aufbrechen, und Charles d’Amboise war das nur recht. Sofort machte Leo die Kutsche bereit und versorgte die Pferde, damit sie am nächsten Morgen frisch und ausgeruht waren. Für den heißblütigen Hector gab es nichts Schöneres als Galoppieren, und auch der alte Cäsar hatte bestimmt nichts gegen einen kleinen Ritt über italienische Straßen einzuwenden. Und was die beiden anderen Pferde betraf – Jason und Cesarine würden nicht bocken und ihren Genossen brav folgen.
Früh am nächsten Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen noch nachtblau zwischen den Bäumen im Garten schimmerten, stürzte Tania völlig aufgelöst in das Zimmer von Alix, die mit der stets gut gelaunten Angela die letzten Reisevorbereitungen traf.
Alix verstand nicht, was dieser Auftritt sollte. Tania schluchzte heftig und rang verzweifelt die Hände. Ihre Augen waren rot und geschwollen, als hätte sie die ganze Nacht geweint.
»Was ist denn mit dir los, Tania? Was veranstaltest du hier für eine Unruhe? Das sieht dir gar nicht ähnlich.«
Tania versuchte sich zu beruhigen und sagte: »Ich kann Theo nirgends finden, Dame Alix.«
»Es stimmt, er ist gestern nicht nach Hause gekommen«, bestätigte Leo, der befürchtete, der Zwischenfall könnte ihren Aufbruch verzögern. »Ich weiß auch nicht, wo er steckt.«
»Du musst auch nicht auf ihn aufpassen, Leo«, beruhigte Alix ihren Kutscher, der ungewöhnlich aufgeregt war, und wandte sich dann wieder an Tania.
»Wenn du etwas weißt, musst du es mir sagen. Ich bestrafe dich nicht, weil du nicht für die Taten deines Bruders verantwortlich bist, aber ich will die Wahrheit wissen.«
Tania, die gerade aufgehört hatte zu schluchzen, brach wieder in Tränen aus.
»Ich weiß aber nichts«, stammelte sie, »ich schwöre, ich weiß nichts.«
Alix ging ein paar Schritte auf und ab und sagte: »Dann kann ich ihm nicht helfen. Wir brechen ohne ihn auf.«
»Genau!«, unterbrach sie Tania. »Wir können nicht auf ihn warten. Vielleicht kommt er ja in Venedig zu uns.«
»Was sagst du da, Tania?«, fragte Alix und musterte das Mädchen kühl. »Woher sollte er wissen, dass wir nach Venedig reisen? Gestern Abend war er nicht im Haus und kann deshalb gar nichts von unserem überstürzten Aufbruch wissen.«
»Oh!«, machte Tania erschrocken, als sie merkte, dass sie sich verplappert hatte. »Wahrscheinlich hat es ihm jemand in der Stadt erzählt.«
»Selbst wenn es so wäre, wer hätte wissen können, dass ich so schnell aufbrechen wollte?«
»Ich … Ich weiß es nicht.«
»Du hast deinen Bruder getroffen, Tania, und du verheimlichst mir etwas!«
»Nein, wirklich nicht, ich schwöre es«, schluchzte Tania.
Auf der Treppe hörte man eilige Schritte. Constance stürzte ins Zimmer.
»Der Kammerherr hat mir eben gesagt, dass ihr auf Théodore wartet. Wenn du nicht jetzt sofort das Haus verlässt, wirst du Charles d’Amboise verpassen, und ich muss dir wohl nicht sagen, dass dein Plan ohne ihn zum Scheitern verurteilt ist. Er ist der Einzige, der dich in die Nähe von Venedig bringen könnte. Du weißt sehr gut, dass sich Alessandro, Jean und die übrigen Gefangenen nur dort befinden
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