Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Charles d’Amboise ihnen den Weg freimachte und auf zwei Hellebardiere zuritt, die ihre Lanzen auf ihn richteten.
»Ich bin Seigneur Charles d’Amboise und auf dem Weg nach Venedig zu unserem König Ludwig XII. Mein Onkel, Georges d’Amboise, ist auf dem Schlachtfeld gefallen, und ich muss seinen Leichnam holen und nach Frankreich überführen.«
Als sie den Namen hörten, senkten die Hellebardiere ihre Waffen.
»Der König ist nicht in Venedig. Er hält sich in Agnadel, am Ufer der Adda, auf. Ihr müsst durch Ferrara und Bologna umgehen, wo die Kanonen aus allen Rohren schießen. Verschafft Euch auf keinen Fall gewaltsam Zugang zu Mantua, die Lage ist dort sehr angespannt, und wenn auch noch nicht gekämpft wird, so kann es nicht mehr lange dauern. Jeder, der unsere Wachsamkeit zu überlisten versucht, wird gefangen genommen. Der Marquis von Mantua, den Julius II. soeben zum Gonfaloniere der Kirche ernannt hat, macht keinen Unterschied zwischen Franzosen und Venezianern.«
»War der Marquis nicht ein Freund unseres Königs?«
»Mit Ausnahme des Herzogs von Ferrara haben die Franzosen keinen Freund mehr, nicht einmal mehr die Florentiner halten zu ihnen, die mit Louis XII. paktiert hatten.«
»Bei dem Wort ›Florentiner‹ sprang Alix aus ihrer Kutsche und mischte sich in das Gespräch ein.
»Warum wird dann der Gonfaloniere Alessandro Van de Veere aus Florenz hier irgendwo zusammen mit Kardinal Jean de Villiers gefangen gehalten? Nach Euren Worten dürften sie gar nicht zusammen sein.«
Die Hellebarden richteten sich jetzt auf Alix.
»Wer ist die Frau?«, brüllte ein Soldat.
»Eine Weberin aus Tours im Val de Loire«, beeilte sich d’Amboise zu erklären.
»Was hat sie hier verloren?«, fragte der Soldat misstrauisch.
»Wir suchen unseren Onkel, Kardinal Jean de Villiers«, rief Constance und eilte ihrer Cousine zu Hilfe. »Warum lässt ihn der Papst nicht frei, wenn er doch gemeinsame Sache mit dem Vatikan macht?«
»Die Gefangenen, die in den Hinterhalt geraten waren, wurden heute getrennt. Die Kardinäle sind auf dem Weg zurück nach Rom. Nur die französischen Bankiers befinden sich noch in der Gewalt der Venezianer.«
»Und was ist mit dem Florentiner Bankier?«, fragte Alix zitternd vor Angst.
»Das ist nicht so wichtig«, unterbrach Charles d’Amboise sie, weil er ahnte, dass sich die Dinge durch Alix mit ihren hartnäckigen Fragen in eine äußerst ungünstige Richtung entwickelten.
»Was redet Ihr da – das ist nicht so wichtig?«, entgegnete Alix empört. »Es ist wahr, ich bin auf der Suche nach meinem Onkel Jean de Villiers, und Ihr habt uns eben gesagt, dass er frei ist. Darüber
bin ich sehr glücklich. Ich bin aber auch auf der Suche nach Gonfaloniere Alessandro Van de Veere, dem Vater meines ungeborenen Kindes!«
Sofort wurde ihr klar, dass sie einen großen Fehler gemacht hatte. Die Hellebardiere bedrängten sie noch mehr mit ihren Lanzen, während Angela aus der Kutsche sprang, um ihr beizustehen.
»Der Mann, von dem Ihr sprecht, ist flüchtig«, höhnte der größere der beiden Soldaten, »und wie alle Ausreißer wird er sich den Hals gebrochen haben, ehe ihn die Soldaten des Dogen von Venedig einfangen konnten, wenn es nicht am Ende sogar die König Ludwigs XII. tun, die nicht mehr mit den Florentinern verbündet sind.«
Dann berührte er mit der Spitze seiner Lanze den Hals von Alix und schrie den französischen Soldaten, die hinter ihm standen, zu: »Nehmt die Frau gefangen. Sie kann nur eine Spionin sein!«
»Nein, das ist nicht wahr!«, rief Constance verzweifelt, die leichenblass geworden war.
»Haltet Euch nicht länger hier in der Gegend auf, Seigneur d’Amboise«, sagte der Hellebardier, der den Befehl gegeben hatte, Alix zu ergreifen. »Seht zu, dass Ihr über Ferrara nach Agnadel kommt. Die Männer von Ferdinand von Aragon werden Euch den Weg freimachen. Und jetzt macht Euch davon, und überlasst uns diese Frau.«
»Nein!«, schrie Angela.
»Wer ist das nun wieder?«, fragte der Soldat und näherte sich drohend.
»Meine Dienerin«, stotterte Constance, die nun gar nicht mehr wusste, was sie sagen durfte.
»Was ist mit der?«, fragte der andere Soldat und zeigte auf Tania, die am ganzen Leib vor Angst zitternd aus dem Wagen gestiegen war, weil sie nicht mehr wusste, wie ihr geschah.
»Das ist eine Sklavin!«, rief Leo, ohne lange zu überlegen.
Er verübelte es der ganzen Welt, dass man Alix gefangen nehmen wollte. Sollten sie doch lieber Tania
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