Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
können.«
Weil Alix noch immer zögerte, fuhr sie fort.
»Kümmere dich nicht um Théodore, er erzählt dir doch nur irgendwelche Geschichten. Was willst du denn tun, wenn Tania
nichts weiß? Früher oder später bekommst du ihn sowieso wieder zu sehen – entweder weil ihm das Geld ausgeht oder weil er Sehnsucht nach seiner Schwester kriegt.«
»Du hast recht«, gab sich Alix schließlich geschlagen. »Er verdient es nicht, dass man sich um ihn sorgt. Er war mir von Anfang an nicht geheuer, und Leo mochte ihn auch nicht. Am besten vergessen wir ihn ganz einfach.«
»Ja, und jetzt müssen wir los. Wir können Seigneur d’Amboise nicht länger warten lassen«, drängte Constance zur Eile.
»Was soll das heißen, ›wir müssen los‹? Gehst du denn nicht wieder nach Hause?«
Constance packte ihre Cousine und schüttelte sie.
»Glaubst du wirklich, ich würde dich allein durch halb Italien fahren lassen, noch dazu, wo du wahrscheinlich in ein paar Tagen irgendwo auf der Straße dein Kind bekommst? Bist du verrückt oder dumm? Ach so, beinahe hätte ich es vergessen. Du bist ja verliebt. Dann ist es etwas anderes!«
Sie nahm die Hand ihrer Freundin und drückte sie herzlich.
»Außerdem kenne ich mich in der Romagna besser aus als du, was vorteilhaft ist, auch wenn wir in Gesellschaft von Seigneur d’Amboise reisen. Unten im Hof steht meine Kutsche, ich fahre dir nach.«
Alix fiel ihrer Cousine um den Hals.
»Wie glücklich ich bin! Ich wollte dich nicht fragen, weil die Reise gefährlich wird. Vielleicht kannst du uns verlassen, wenn wir den Norden der Romagna erreicht haben. Ab Ravenna sollten die Straßen eigentlich frei sein, wenn alle Truppen um Venedig stationiert sind.«
»Was redest du nur für einen Unsinn, Alix«, widersprach ihr Constance kopfschüttelnd. »Je näher wir Venedig kommen, umso gefährlicher wird es.«
Als sie aus dem Haus traten und zu ihren Wagen gehen wollten, bemerkten sie erst, dass Charles d’Amboise sie bereits hoch zu Ross erwartete.
»Wir sind schon unterwegs!«, rief ihm Constance zu.
Charles d’Amboise schien sehr betroffen vom Tod seines Onkels. Von allen Neffen d’Amboise hatte er gewiss das engste Verhältnis zu diesem Mann gehabt, der Louise d’Angoulême so verhasst war. Es war noch gar nicht lange her, dass die Familie den Tod eines anderen Mitglieds beklagen musste. Louis Chaumont d’Amboise, der alte Soldat, der im Dienst von Louis XII. gestanden und schon an der Seite von Charles VIII. gekämpft hatte. Die Familie d’Amboise wurde jetzt nur noch von der jüngeren Generation vertreten, zu der Charles als einer der Älteren gehörte.
Sie kamen gut voran, mussten aber feststellen, dass sich die Leute in ihren Häusern verbarrikadiert hatten und kein einziger Bauer auf dem Feld zu sehen war, was ihnen schon seltsam vorkam. In der Gegend von Bologna kam es dann zu ersten Zwischenfällen, und sie machten sich ernsthaft Sorgen über den weiteren Verlauf ihrer Reise.
»Ich fürchte, wir sind eine große Belastung für Euch, Seigneur d’Amboise«, sagte Alix bei einer Pause. »Allein auf Eurem Pferd wärt Ihr viel schneller. Wenn ich nur nicht diesen dicken Bauch hätte! Dann würde ich Hector reiten und Euch nicht länger aufhalten. Das könnt Ihr euch jetzt wahrscheinlich nicht vorstellen, aber ich bin eigentlich eine sehr gute Reiterin.«
Er musterte sie amüsiert oder vielleicht ein wenig spöttisch, und Alix versuchte ein Lächeln.
»Leider ist mir das in meinem Zustand nicht möglich, wie Ihr sicher verstehen werdet«, seufzte sie bedauernd.
»Im Augenblick können wir nichts anderes tun, als weiter Richtung
Venedig zu fahren, weil das ja unser Ziel ist«, meinte Charles d’Amboise. »Meines Erachtens können wir die Stadt nur auf einem Umweg über Mantua erreichen. Dort werde ich entscheiden, ob ich Euch weiter begleiten kann.«
In Mantua erfuhren sie, dass Ludwig XII. den Bürgern schon lange den Krieg erklärt hatte, weshalb niemand das Haus verließ. Da konnte der Doge Loredan noch so lange an die alten Allianzen zwischen Venedig und Frankreich apellieren – es nützte nichts. Das mächtige Rom stärkte Ludwig den Rücken, und Julius II. wachte mit Argusaugen darüber, dass alles nach seinen Vorstellungen verlief. Der Soldaten-Papst erwies sich als zunehmend gewalttätig und immer weniger tolerant.
Vor den Toren von Mantua versperrten ihnen Lanzenreiter den Weg. Leo und der Kutscher von Constance mussten anhalten und warten, bis
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