Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
allzu lange dauern dürfte, liefern wir den Teppich dem König und machen uns an eine neue große Arbeit, für die wir diese Figuren als Modell nehmen.«
»Ich möchte immer Paare bilden, so wie bei Augustus und Sibylle «, sagte Alix. »Und sie sollen die gesamte Mittelfläche der Teppiche einnehmen. Sieh nur! Dieser Mann und die Frauen blicken in dieselbe Richtung, so als warteten sie auf eine himmlische Erscheinung. Oder das Gesicht hier, schau es dir einmal genauer an. Die Frau wirkt so entsetzt, als ginge vor ihren Füßen die Welt unter. Das ist wirklich außerordentlich!«
»Sind diese Zeichnungen auch von Van Roome?«
»Ja, alle! Ich habe sie ihm alle abgekauft.«
»Ist dieser Maler noch in Frankreich?«
»Nein, er ist in den Vatikan zurückgekehrt, weil er dort noch zu tun hat. Danach reist er nach Dijon, nach Lyon und nach Tours, ehe er sich über Paris wieder auf den Weg nach Flandern macht. Wir sollten ihn einige Tage zu uns einladen, Mathias. Er ist sehr umgänglich, großmütig und ernsthaft. Bestimmt werden wir uns genauso mit ihm anfreunden wie mit seinem berühmten Kollegen Van Orley. Wir müssen unbedingt mit den großen Meistern zusammenarbeiten. Nur mit ihrer Signatur kann unsere Werkstatt an Ansehen gewinnen. Je bedeutender wir werden, umso weniger können uns unsere Feinde anhaben.«
»Wenn er erst hier ist und unsere Arbeit sieht, werden wir den großen Meister schon überzeugen. Wir zeigen ihm alles, was wir bisher geschaffen haben.«
Alix war froh, dass Mathias so guter Laune war und die neuen Pläne für gut befand. Begeistert fuhr sie fort:
»Meister Perugino, der gerade ein Portrait von Prinzessin Claude malt, vertritt übrigens die gleichen Ansichten wie Meister Van Roome. Stell dir vor, der große Raffael ist bei ihm in die Schule gegangen. Sieh nur. Ich habe dir noch nicht alles gezeigt.«
Sie öffnete einen anderen Karton, holte einige Blätter heraus und reichte sie Mathias.
»Das sind die Bordüren, von denen ich eben gesprochen habe.«
»Das sind ja nur Menschen!«
»Ist das nicht faszinierend?«
Alix sprühte vor Begeisterung, und ihre Augen funkelten. Wie schön sie war! Wie sollte Mathias nicht daran denken und neben ihr existieren, ohne den Wunsch, ihre Hand zu nehmen, zärtlich den Arm um sie zu legen und sich an ihrem Duft zu berauschen?
»Sieh dir das an, Mathias!«, begeisterte sie sich. »Das sind all die Figuren, die wir den beiden Hauptfiguren zur Seite stellen könnten. Der Maler hat sie nicht in der Mitte des Teppichs gruppiert, sondern auf den Bordüren verteilt.«
»Das ist wirklich erstaunlich. Man kann sie immer wieder an anderer Stelle entdecken: Prälaten, edle Herren, Notabeln, Hofdamen und sogar Kinder. Das wird ein unglaublich schöner Wandteppich. Ich kann es kaum erwarten, mich daranzumachen. Ich glaube fast, ich werde jetzt auch nachts arbeiten wie du, Alix, damit der Trojanische Krieg endlich fertig wird.«
Da hatte Mathias einen guten Grund gefunden, noch mehr Zeit an der Seite von Alix zu verbringen. Er kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie es ebenfalls kaum erwarten konnte, das neue Ensemble in Angriff zu nehmen und nur darauf warten würde, wann er mit seinem Teppich so weit war, dass er Arnold und Landry die restliche Arbeit überlassen konnte.
Er sah ihr in die Augen, und sie wich seinem Blick nicht aus und lächelte ihn an.
»In zwei oder drei Wochen können wir anfangen. Wie willst du die Teppiche nennen?«
Sie überlegte.
»Warum greifst du nicht auf deine Jungfrauen des Vatikans zurück und kombinierst diese Zeichnungen mit deinen Entwürfen? Das fände ich nur logisch.«
»Eine geniale Idee, Mathias. Und den männlichen Figuren gebe ich biblische Namen. Dann kommen meine Jungfrauen endlich zu ihrem Recht. Jungfrau mit David , Jungfrau mit Abraham , Jungfrau mit Moses . Das passt sehr gut für den Vatikan. Kardinal Jean de Villiers wird zufrieden sein.«
Beinahe hätte sie vor Freude in die Hände geklatscht, und Mathias hätte ihre Hände um ein Haar genommen und an seine Lippen geführt. Was gäbe er dafür, wenn sie diese einfache Geste dulden würde?
Doch sie zerstörte den Zauber dieses Augenblicks.
»Hast du inzwischen einen neuen Arbeiter gefunden?«, fragte sie und entfernte sich ein paar Schritte von ihm.
»Ja, ich wollte aber deine Zustimmung abwarten, obwohl ich überzeugt bin, den Richtigen gefunden zu haben. Genauer gesagt sind es zwei, und weil sie mir beide gleich fähig zu sein scheinen, konnte ich
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