Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
zum Lachen zu bringen, damit sie sich eine kleine, aber wohlverdiente Pause von der harten Arbeit gönnten.
Auf der Suche nach den besten Plätzen am Flussufer gegenüber von Amboise zogen die königliche Armee, die Hellebardiere, die Grenadiere und die Bogenschützen am Ufer der Loire entlang und lieferten sich heftige Wortwechsel mit dem Volk und den Kaufleuten, die mit dem größten Vergnügen ihre Possen und Streiche vorführten.
»He, Soldat! Wie ist es? Willst du vielleicht um deinen Sold spielen?«, rief ein Gaukler, der auf einer umgedrehten Tonne mit seinen flinken Fingern so schnell die Würfel warf, dass sie wie die grauen Möwen über dem Fluss durch die Luft flogen.
»Du kriegst meinen Sold bestimmt nicht«, antwortete der Bogenschütze und band den Köcher mit den Pfeilen fester an seinen Gürtel.
Der Bogenschütze hinter ihm schien anderer Meinung zu sein, und weil er schon in der Hosentasche nach seiner Geldbörse suchte, rief ihm der Gaukler zu:
»Eine Partie kostet zwei Pistolen. Bei geraden Zahlen gewinnst du, bei ungeraden hast du verloren.«
Doch ehe er sich sein Opfer schnappen konnte, zog ihn der andere Bogenschütze am Ärmel und deutete auf einen Menschenauflauf, der immer noch größer wurde.
»Behalt dein Geld lieber für die Tänzerin«, empfahl er ihm.
Sie ließen den Gaukler einfach stehen, der weiter unverdrossen seine marktschreierischen Reden schwang, und mischten sich unter die Leute, die einen Kreis um die Tänzer gebildet hatten.
In der Mitte balancierte ein Mädchen auf einem Seil etwa sechs Fuß über dem Boden. Die Artisten um sie herum bewegten sich wie Raubkatzen beim Sprung auf ihre Beute.
Das Mädchen bewegte sich vorsichtig auf dem gespannten Seil vorwärts, wobei sie sich in den Hüften wiegte. Bei jedem ihrer äußerst bedächtigen Schritte wackelte sie mit dem Hintern und streckte ihre spärlich bedeckte Brust heraus. Geschickt drehte sie einen Weidenring mal in der einen, mal in der anderen Hand.
Die beiden Bogenschützen pfiffen anerkennend, und die Menge applaudierte lautstark, während man sich gleich daneben aufgeregt um einen Bärenführer scharte.
Das Tier trug Ketten und einen soliden Maulkorb und tanzte auf den Hinterbeinen zu einer Melodie, die der Bärentreiber, der ihn an der Leine hielt, auf seinem Pfeifchen blies. Der Bär brummte beim Tanzen und beobachtete die Schaulustigen mit seinen kleinen schwarzen Augen, die in seinem dichten braunen Fell wie
zwei Leuchtkäfer an einem Sommerabend funkelten. Obwohl er nicht angriffslustig wirkte, wagte sich niemand in seine Nähe.
Über zotige Witze und Lieder lachten die Zuschauer aus vollem Hals. Vor Freude über die Purzelbäume eines Zwergs klopften sie sich auf die Schenkel und lauschten den Geschichten des Bauchredners mit ebenso viel Vergnügen wie den Prophezeiungen eines Wahrsagers mit Aufmerksamkeit.
»Ich kann dir die Zukunft aus dem Gesicht lesen, mein Kind«, versprach der Wahrsager einer jungen Frau, die vorbeikam. »Lass mal sehen!«, sagte er und nahm ihre Hand.
Die Frau war noch sehr jung und kam ihrer Kleidung nach zu urteilen vom Land. Ihr langes Kleid aus robustem grauem Serge schleppte über den Boden, und die gestärkte weiße Haube stand ihr gut zu Gesicht.
»Du musst nicht mehr lange die harte Feldarbeit erledigen«, prophezeite ihr der Alte, »weil du bald jede Menge Kinder bekommst. Und du kannst dich freuen, es sind nämlich alles Jungen.«
Da musste die Frau lachen und fragte im Scherz:
»Wie viele Söhne krieg’ ich denn deiner Meinung nach?«
»Fünf! Ich sehe fünf. Der Älteste wird Soldat des Königs, der zweite Sohn Geistlicher und der dritte wandert aus, er geht sehr, sehr weit weg.«
Dann blickte er zum Himmel, um dort nach weiteren Eingebungen zu suchen. Als er die Frau wieder ansah, verkündete er:
»Die beiden anderen werden Bauern, wie ihr Vater, der eine übernimmt den Weinberg, der andere die Felder.«
Unsere beiden Bogenschützen hatten sich ebenfalls zu den Leuten gesellt, die den Wahrsager umringten, hörten ihm interessiert zu und warfen sich vielsagende Blicke zu, als der Wahrsager plötzlich auf den Größeren von beiden deutete, der sich vorher geweigert hatte, um seinen Sold zu würfeln, und sagte:
»Wenn du aus Italien zurückkommst, hast du auch einen kleinen Sohn.«
»Da muss er erst mal heiraten«, spottete der andere.
»Erst kommt das Kind, dann die Hochzeit.«
Der Soldat zuckte nur die Schultern und nahm seinen Freund unbekümmert beim
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