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Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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die Arbeit vorbereitet. Jetzt versuch es einmal mit diesem Teppich.«
    Diesmal nickte Alix anerkennend. Sie beobachteten den Weber, lobten seine geschickten Hände, seine Konzentration und seinen Sinn für den richtigen Faden. Mit einem Wort – sie waren sehr zufrieden. Plötzlich kam Julio herein, und alle fuhren erschrocken zusammen. Als er den neuen Arbeiter sah, ging er auf ihn zu.
    »Dieser junge Mann ist sehr begabt«, sagte er leise.
    »Was hast du gesagt?«, fragte Alix, obwohl sie das Lob von Julio genau verstanden hatte.
    »Ich sagte, er ist sehr begabt. Die Seidenfäden, die er für die Augen der Madonna verwendet, verändern ihren Gesichtsausdruck stark. Sie wirkt auf einmal sehr erstaunt. Sie glaubt, sie hat eine Engelserscheinung.«
    »Das finde ich auch. Ach Julio, ich weiß gar nicht mehr, was ich denken soll! Ich bin ganz verwirrt von dem, was der junge Mann erzählt hat.«
    »Was genau hat er denn erzählt?«
    »Ich kenne einen Weber, der bei den Mortagne arbeitet«, beeilte sich Grégoire zu antworten. »Einmal habe ich ihm aus der Klemme geholfen, und seitdem berichtet er mir hin und wieder, was sich so tut. Auf diesem Weg habe ich dann auch erfahren, dass sie Euch über den Kommanditär in Eurem Kontor schaden wollen.«
    »Was! Was sagst du da?«, rief Julio empört.
    Grégoire musste seine Geschichte für Julio noch einmal wiederholen, wobei er nicht zu erwähnen vergaß, dass er noch mehr in Erfahrung bringen konnte.
    »Also gut, du bist eingestellt«, sagte Alix plötzlich. »Der Blick von deiner Madonna gefällt mir gut, und Mathias will dir offenbar beibringen, an einem Hochwebstuhl zu arbeiten.«
    »Vielen Dank, Dame Cassex, Ihr werdet es bestimmt nicht bereuen. Ich will Euch gute Dienste leisten. Dürfte ich denn hin und wieder meinen alten Meister Fortier besuchen?«
    »Es ehrt dich, dass du an ihn denkst, und das gefällt mir wirklich«, meinte Mathias und klopfte dem jungen Mann väterlich auf die Schulter. »Was hältst du davon, wenn wir dem alten Fortier ein bisschen Arbeit abgeben, Alix? Das wäre unser beider Vorteil. Denk nur an Maître Gauthier – ohne dich hätte er sich unter die Erde gesoffen.«
    »Du hast recht. Das wäre für uns eine schöne Entlastung.«
    Plötzlich kam ihr ein Gedanke, und sie fragte ohne Umschweife:
    »Warum hast du nicht gefragt, ob du bei den Mortagne arbeiten kannst, wenn du doch schon einen von ihren Arbeitern kennst?«
    »Das ist ganz einfach, Dame Cassex. Ich bin hingegangen und hab’ gefragt, aber sie haben mich rausgeworfen.«
    »Sie haben dich rausgeworfen! Aber warum?«
    »Weil ich sie an dem Tag, an dem sie dem alten Fortier gesagt haben, dass er zumachen muss, beschimpft habe. Als ich mich dann bei ihnen vorgestellt habe, dachte ich, sie hätten vielleicht mein Gesicht und vor allem meine Stimme vergessen, aber da habe ich mich geirrt – sie haben mich vor die Tür gesetzt!«
    »Das war auch gut so, weil du deshalb jetzt hier bist.«
    »Worüber ich sehr zufrieden bin. Ich verspreche Euch, dass ich gute Arbeit leisten will.«
     
    Den ganzen Abend schwebte diese neue Bedrohung unheilvoll über ihnen. Die Bertille hatte sich zwar selbst übertroffen und Zucchinisuppe mit weißen Ravioli und Fasan in Gelee gezaubert, aber nicht einmal dieser köstliche Duft konnte die düstere Stimmung heben. Alix und Mathias sprachen kaum ein Wort.
    »Man könnte meinen, meine Suppe schmeckt Euch nicht«, grummelte die Bertille mit einem vorwurfsvollen Blick auf die luftige Köstlichkeit.
    »Die ist so gut, dass ich mir gleich noch mal nehme, Bertille!«, widersprach ihr Pierrot, der sich nicht so leicht den Appetit verderben ließ.
    »Die Mortagne beruhigen sich schon wieder«, meinte Julio, »macht euch nicht solche Sorgen. Was können sie euch schon anhaben, jetzt, wo eure Werkstätten im ganzen Val de Loire großes
Ansehen genießen? Ein mysteriöser Zwischenfall würde nur Aufsehen erregen.«
    Weil Alix noch immer schwieg, versuchte er es noch einmal.
    »Lass dich nicht aus der Ruhe bringen, Alix. Schließlich hast du doch einen zuverlässigen Aufpasser. Juan macht seine Sache ausgezeichnet, dafür garantiere ich. Seinem wachsamen Auge entgeht nichts, und sobald die Werkstätten abends geschlossen sind, übernimmt er die Wache.«
    »Ich habe auch gar keine Angst vor einer neuen Brandstiftung, Julio. Es gibt genug andere Möglichkeiten, wie man uns schaden kann.«
    »Ach was! Welche denn?«
    »Du bist von Natur aus gutwillig und großzügig und

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