Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
leise zu ihm sagte: »Die Verabschiedung der königlichen Truppen durch das Volk dauert mit Sicherheit noch zwei bis drei Tage, sodass dir genug Zeit bleibt, mein Sohn.«
Auf der Loire ging es immer lebhafter zu. Die Schiffer lenkten ihre leichten Barken geschickt zwischen den großen Schiffen hin und her, und unter Trommelwirbel und Trompetenklängen herrschte bald ein allgemeines Durcheinander.
Der Fluss funkelte im Sonnenlicht, und die Galeoten schwankten und schaukelten auf dem wild bewegten Wasser.
Die Familie Valois war es gewohnt, auf diesen herausgeputzten Barken zu reisen, mit denen man ohne Schwierigkeiten von Amboise nach Tours oder von Blois nach Orléans kam. Königin Anne liebte diese Fortbewegungsart sehr und reiste mit einer Galeote, sobald der Fluss genug Wasser führte. Außerdem waren ihre Schiffer so geschickt, dass sie selbst bei Regen, Sturm oder Nebel einen sicheren Kanal durch die Sandbänke fanden.
Schließlich wurde Guillaume de Bonnivet gefunden, der rittlings auf einer Kanone saß und sich unterhielt. Bonnivet ging zwar – wie man es ihn gelehrt hatte – sehr talentiert mit dem Degen um und beherrschte das Fechten nach allen Regeln der Kunst. Noch mehr schienen ihn jedoch die Feuerwaffen zu faszinieren, deren Einsatz Louis XII. seit seinen letzten Italienfeldzügen förderte, weil er ebenfalls eine Vorliebe dafür hatte.
Nun ging das königliche Paar also an Bord. Etwa hundert Lakaien rollten erstaunlich geschickt einen roten Teppich vor ihm aus, auf den bunte Blüten gestreut wurden, deren betörender Duft sich mit dem faden Geruch der Loire vermengte.
Im Schloss von Amboise, auf den Treppen, die zur Stadt hinunterführten, in diesem ganzen prächtigen Ensemble aus Donjons, Türmchen und Dächern, zu dem sich noch der Charme der Loire gesellte, waren die Menschen in Hochstimmung, weil sie nun schon seit drei Tagen feierten.
Louise sah, wie sich François und Bonnivet auf ihre Pferde schwangen. François gab Pegasus die Sporen, und die beiden preschten los. Plötzlich spürte auch Louise diesen Freiheitstaumel, den ihr Sohn gerade erlebte.
Sie seufzte und wusste nicht so genau, ob vor Behagen oder vor Bedauern. Morgen musste Charles de Bourbon wieder zurück zu seinen Waffenbrüdern. Ihr war bewusst, dass sie ihn erst nach einem langen und gefährlichen Feldzug wiedersehen würde und jetzt einsame, traurige Nächte vor sich hatte. Ein wenig tröstete sie der Gedanke, dass wenigstens Marguerite vielleicht schon am nächsten Tag wieder bei ihr sein würde.
Solange wollte sie die Gunst der Stunde nutzen und sich die kurze Freiheit versüßen, die ihr das Schicksal ausnahmsweise einmal gönnte.
»Ich finde, wir sollten diese kostbaren Minuten nicht vergeuden, Charles«, flüsterte sie ihrem Freund zu. »Der Krieg ist kein Kinderspiel. Wer weiß, ob wir uns je wiedersehen!«
In dem allgemeinen Durcheinander bemerkte keiner, wie sie am Ufer der Loire verschwanden, und auch dem sonst so scharfen Auge von Louise entging, dass der junge Herzog von Nemours in wildem Galopp die Verfolgung von François und Bonnivet aufgenommen hatte.
Doch dies war nicht der Moment, um an die junge Liebe ihrer Tochter Marguerite zu denken!
Nein, an diesem Abend zählte für Louise nur ihre eigene Leidenschaft.
Nachdem Charles sie verlassen hatte, nahm Louise ihr Tagebuch zur Hand und kam, als sie eine Weile darin geblättert hatte, zu dem Schluss, dass es nicht der rechte Ort war, um ihr Herz auszuschütten.
Doch wem konnte sie sich anvertrauen, wenn nicht Alix? Also nahm sie ein Blatt Papier und schrieb:
Meine liebe Alix, in wenigen Stunden wird der König nach Italien aufbrechen, und die Königin ist wieder schwanger. Das macht mir umso mehr Angst, als ihr ein Wahrsager einen Sohn prophezeit haben soll. Diesmal bin ich aber fest entschlossen, jeden glücklichen Moment zu genießen, der sich mir bietet – und das sind nicht wenige. Gestern zum Beispiel, als ich François in Gesellschaft seiner Freunde erlebte, war ich glücklich. Ein paar Tage zuvor, als mir Marguerite mit strahlenden Augen von dem jungen Duc de Nemours erzählte, war ich geradezu hingerissen. Dabei möchte ich gar nicht, dass sie ihr Herz an diesen jungen, aber bereits sehr berühmten Feldherrn verliert, weil sie nicht für ihn bestimmt ist.
Aber darf ich ihr denn das Recht verweigern, ihre Jugend zu genießen? Glücklicherweise muss dieser schöne und verführerische junge Ritter schon bald in den Krieg ziehen, und ich glaube
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