Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
sie rief betont vergnügt:
»Komm doch, Mathias! Ich möchte dir Catherine Bohier vorstellen, die Frau von Sire Briçonnet, der mit dem König in Italien kämpft.«
»Ist er Euer Kompagnon?«, fragte Catherine leise.
»Nicht zu hundert Prozent, aber seit dem Wiederaufbau der Werkstätten, den er ganz hervorragend geleitet hat, habe ich ihm einige Sonderrechte eingeräumt. Und wenn ich nicht da bin, ist er der Meister.«
Alix machte Mathias und Catherine bekannt, und nachdem die üblichen Begrüßungsfloskeln ausgetauscht waren, schlug sie vor, die Teppiche im Kontor zu besichtigen.
»Wie ich sehe, habt Ihr neue Stücke auf Eure Webstühle gespannt. Heißt das, die Teppiche für den König sind fertig?«
»Sie sind nebenan«, erklärte Mathias sichtlich erleichtert, weil Alix die Nacht nicht außer Haus verbracht hatte, wie er befürchtet hatte, und sich der Tag gut anließ.
Wie grausam und endlos ihm die Nacht vorgekommen war, während er sich ruhelos im Bett von einer Seite auf die andere wälzte. Er hatte keinen Schlaf gefunden und sich die ganze Zeit bei dem Gedanken gequält, Alix sei zu ihrem Geliebten geeilt, weil er überzeugt war, ihr Zerwürfnis würde sicher nur wenige Stunden anhalten. Am nächsten Morgen aber waren seine Sorgen wie weggeblasen, als er Alix zu Hause antraf, auf dem Weg in die Werkstatt.
Mit einem Lächeln wandte er sich an Catherine Bohier und
fuhr fort: »Die sechs Teppiche sind fertig. Wir werden sie abliefern, sobald der König aus dem Krieg zurückgekehrt ist.«
»Und was ist mit den Teppichen für Louise?«
»Seht selbst«, bat Alix und nahm ihren Arm.
Sie gingen in das Kontor neben den Werkstätten, und Catherine interessierte sich sehr für die junge Angela, die an einem Flachwebstuhl arbeitete, und für Julio, der recht schweigsam war, wenn Alix mit einem Besucher kam. Jeder wusste, dass Alix viel zu wortgewandt war, als dass sie es einem anderen überlassen hätte, die ausgestellten Arbeiten zu erläutern.
Catherine war richtiggehend entzückt von der üppigen Farbenpracht der Wandteppiche. Erst sah sie sich aus der Nähe jedes Detail an, dann wollte sie wissen, wie sie von Weitem wirkten. Ausgiebig betrachtete und studierte sie die Kunstwerke, und ihre Augen wanderten von den Einhörnern zu den Schlachtpferden, von den Hofdamen zu den Rittern in Rüstung, von den Szenen am Hofe zu den Szenen auf dem Schlachtfeld. Doch immer wieder blieb ihr Blick an den Millefleurs hängen, deren farbliche Komposition wirklich ein Wunderwerk war.
»Die Teppiche sind wunderschön. Es sind wahre Meisterwerke. Ich kann Euch nur dazu gratulieren, Alix.«
»Der Trojanische Krieg hat uns viel Arbeit gemacht«, sagte Mathias. »Einen Großteil davon hat Maître Jacques Cassex gewebt. Er hat den Teppich begonnen, was am schwierigsten war, weil er die Rapporte für die Figuren und die Pferde auf dem Gewebe anbringen musste.«
Catherine Bohier nickte anerkennend. Man merkte ihr an, dass sie es gewohnt war, in den Werkstätten von Malern und Webern ein- und auszugehen. Nichts entging ihren neugierigen Blicken, und zu allem hatte sie etwas zu sagen, über den Faden und die Farben, Stiche, Schraffuren, Licht und Schatten.
»Die Ankunft des Königs ist hervorragend dargestellt«, fand sie. »Angesichts der vielen Ritter mit ihren Rüstungen denkt man sofort an Tapferkeit und Stärke. Man ist sich sicher, dass sie den Sieg davontragen werden.«
»Und genauso hat es der König auch gewollt.«
»Hat er noch andere Wünsche geäußert?«
»Ja, die Millefleurs wollte er nur auf den Teppichen mit den Schlachtszenen.«
»Was ist mit Eurer Signatur?«, fragte Catherine und musste lachen.
»Hier ist sie doch«, antwortete Alix und deutete auf das »T«, das auf jedem Teppich zu finden war.
»Sehr gut! Was machen denn jetzt die Mortagne und die Van Thiegen, nachdem Ihr zu den bedeutendsten Webern der Region zählt?«
»Sie überwachen uns, spähen aus, woran wir arbeiten, und bringen uns bei den Kontrolleuren in Misskredit.«
»Euer Trojanischer Krieg wird wohl kaum bemängelt werden. Das würde sich der König auch nicht gefallen lassen.«
»Das hoffe ich sehr. Aber es könnte sein, dass sie meine Einhörner kritisieren, so wie bei meinem Meisterstück für die Gilde.«
»Ihr steht jetzt aber ganz anders da und könnt Euch viel besser verteidigen.«
Alix drehte sich nach Mathias um, aber der war in die Werkstatt zurückgegangen.
»Bitte tut mir den Gefallen und redet vor Mathias nicht von
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