Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
Vom Netzwerk:
fragte ich.
    Hartmann lächelte. „Pech ist auch ein vorzüglicher Brennstoff. Man kann Brandgeschosse damit herstellen. Sogar brennende Pfeile kann man verschießen, wenn man die Spitzen vorher in Pech getaucht hat. Ich wette, das wird dem Herzog gefallen.“
    Nicht nur mein Herr hatte angesichts der reichen Beute seine gute Laune wiedergefunden. Als wir zum Dorfplatz zurückkehrten, hatten sich die übrigen Männer bereits versammelt, taten sich an Gemüse aus den Vorratsgruben gütlich, tranken erbeuteten Met und ließen Herbort hochleben, der das Dorf entdeckt hatte. Hartmann gönnte ihnen die erfreuliche Abwechslung, schien jedoch nüchtern bleiben zu wollen und kostete nur einen kleinen Schluck, um sich sogleich an Herbort und Ordulf zu wenden.
    „Irgendwelche Spuren von den Bewohnern?“
    „Nein, Herr“, meldete Herbort. „Sie sind vermutlich wie alle anderen zur Burg geflohen. Allzu lange kann es nicht her sein, denn viele Vorräte sind noch unverdorben.“
    „Sehr gut“, sagte Hartmann. „Also bringen wir am Ende doch noch etwas zu essen mit nach Hause.“
    „Ich habe einen Handkarren gefunden“, warf Ordulf ein. „Darauf können wir die Beute laden.“
    „Und wohin gehen wir von hier aus?“, fragte Ulfrik, der die Unterhaltung belauscht hatte.
    „Über die Brücke natürlich!“, erwiderte Ordulf. „Das ist der kürzeste Weg nach Süden. Für eine Umrundung des Sees würden wir mehrere Stunden brauchen.“
    Hartmann nickte. „Also gut, nehmen wir die Brücke. Und wir sollten es bald tun, denn ich will hier nicht übernachten. Mit etwas Glück führt uns der Weg am anderen Ufer direkt zum großen See, und wenn wir bis Sonnenuntergang marschieren, erreichen wir vielleicht noch vor Einbruch der Nacht das Heerlager.“
    „Euer Wort in Gottes Ohr“, murmelte Ordulf. Sein Sohn fügte ein leises „Amen“ hinzu, das von allen Männern, betrunken oder nicht, einträchtig wiederholt wurde.
    Der Handkarren wurde beladen, und Hartmann bestimmte Ordulf und Herbort, ihn zu ziehen. Wir durchquerten das Dorf, näherten uns dem Ufer und sahen die Brücke vor uns liegen, die über eine Entfernung von mehr als dreihundert Schritten zum gegenüberliegenden Ufer führte. Damals wusste ich noch nicht, dass der Brückenbau zu den berühmtesten Künsten der Wenden gehörte, und so staunte ich über die sinnreiche Konstruktion: Die Brücke war schnurgerade und bestand aus quergelegten Holzbohlen über längs verlaufenden Balken, beidseitig von einem hüfthohen Geländer begrenzt. Als Stützbalken dienten nicht einfache Baumstämme, sondern kegelförmig verzweigte Bündel aus Stangen, deren untere Enden in den Seegrund versenkt waren. Das Holz knarrte, als wir die Bohlen betraten, doch die Brücke schwankte nicht im Geringsten.
    Dennoch ahnte ich Unheil, als wir uns auf den See hinauswagten, Hartmann und ich voran, gefolgt von Herbort und Ordulf mit dem Karren. Vielleicht lag es daran, dass ich als Einziger wenig Gepäck trug und die Hände frei hatte, weshalb ich beim Betreten der Brücke die Hand nach dem Geländer ausstreckte. Das Holz fühlte sich seltsam feucht und klebrig an. Ich hielt die Finger vor die Augen und sah, dass sie geschwärzt waren wie von einer dunklen Substanz. Den Geruch glaubte ich wiederzuerkennen: Es war Pech – dasselbe Material, das mir Hartmann im Haus des Handwerkers gezeigt hatte. Für Momente streifte mich ein warnendes Unbehagen, doch ich erinnerte mich an Hartmanns Worte, dass Pech zur Abdichtung von Booten diente, und beruhigte mich mit dem Gedanken, dass die Wenden damit offenbar auch Brückenbauten verkleideten. Zum Unglück für uns alle wusste ich nicht, dass Pech nach einiger Zeit hart und trocken wird, andernfalls hätte ich mich gewiss gefragt, warum jemand erst vor kurzem das Brückenholz mit einer frischen Schicht bestrichen hatte.
    Wir waren noch nicht bis zur Mitte der Brücke vorgedrungen, als aus einer Baumkrone am jenseitigen Ufer ein Lichtblitz herangezischt kam, glühend wie eine Sternschnuppe vor dem Abendhimmel. Dass es sich um einen Pfeil mit brennender Spitze handelte, begriff ich nicht sofort. Das Geschoss sauste über unsere Köpfe hinweg und schlug weit hinter uns nahe dem Ufer in die Holzplanken der Brücke. Sofort loderten Flammen auf, als sei das Feuer der Hölle mitten aus dem Nichts hervorgebrochen.
    „Gütiger Herrgott“, flüsterte Hartmann, der sich wie alle anderen umgewandt hatte und mit offenem Mund hinüberstarrte. Das Feuer hatte nur die

Weitere Kostenlose Bücher