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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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Geräusch!“, flüsterte der Ritter. „Wenn er nicht die Augen eines Luchses hat, kann er uns im Dunkeln nicht sehen. Wahrscheinlich versucht er nur, uns aufzustören. Schlaf weiter, wenn du kannst.“
    Dies erschien mir so gut wie unmöglich, denn das Grauen ließ mein Herz heftig klopfen. Doch der Schrei wiederholte sich nicht, und so versuchte ich, mein Gehör auf die ruhigen Atemzüge Hartmanns zu konzentrieren, der neben mir saß. So lag ich noch eine Stunde im Dunkeln wach, dann jedoch überwältigte mich die Erschöpfung erneut, und ich schlief bis weit in den Morgen hinein.
    Als ich erwachte, drängte Hartmann zum Aufbruch, und so verließen wir unseren Lagerplatz, um uns in südlicher Richtung durch den Wald zu schlagen. Die Wanderung war beschwerlich, denn da wir jederzeit mit einem Anschlag rechneten, suchten wir uns absichtlich die unwegsamsten Pfade und das dichteste Unterholz. Hartmann ging voran, stets wachsam umherspähend, wobei er sein Schwert benutzte, um uns einen Weg durch das Gestrüpp zu bahnen. Ich folgte ihm, den mannshohen Holzschild auf dem Rücken, so dass er uns gegen einen Angriff von hinten deckte.
    Wir wanderten lange, bis wir unseren Weg von einem Fluss versperrt fanden, der quer zu unserer Marschrichtung nach Nordwesten floss. Er war zu breit, um schwimmend überquert zu werden, und zudem scheuten wir uns, den Schutz des Waldes zu verlassen. Also stand die Entscheidung an, entweder rechts oder nach links abzubiegen und in Sichtweite des Ufers zu wandern, bis wir eine Furt fanden. Hartmann entschied sich für links, und so zogen wir mehrere Stunden abseits des Ufers dahin, während die Mittagssonne uns im Nacken brannte.
    Mittlerweile quälte uns der Hunger. Jagen konnten wir nicht, denn Schwert und Dolch waren denkbar ungeeignete Waffen für diesen Zweck. So blieb mir nur zu tun, was ich bereits in meiner Kindheit getan hatte, als ich durch die Wälder meiner Heimat geirrt war: Ich hielt Ausschau nach Gänsefuß, Kresse, Bärlauch und Brombeeren, kurz, nach allem, was zwar den Magen nicht füllte, ihn jedoch beruhigte. Tatsächlich brachte ich einiges zusammen, und Hartmann lobte meine Findigkeit.
    Am frühen Nachmittag stießen wir auf einen Fußweg, der von Norden her zum Fluss führte und diesen auf einer Holzbrücke überquerte. Die Brücke war ebenso gebaut wie jene, die uns vor zwei Tagen zum Verhängnis geworden war, allerdings bedeutend schmaler und kürzer. Der Weg zur anderen Seite betrug kaum fünfzig Schritte.
    „Ich weiß nicht, wie du darüber denkst“, sagte Hartmann, der hinter einem Baum hervor zum Ufer spähte, „aber ich traue keiner Brücke mehr.“
    Ich konnte ihm nur herzlich zustimmen.
    „Andererseits müssen wir diesen Fluss überqueren, wenn wir nicht zu weit nach Osten abkommen wollen“, sinnierte mein Herr. „Und wenn wir nicht diese Brücke nehmen, werden wir irgendwann schwimmen müssen.“
    Am Ende beschlossen wir, den Schutz der Bäume zu verlassen und es mit der Brücke zu versuchen, jedoch unter allergrößter Wachsamkeit. Hartmann ergriff den mannshohen Schild, hielt ihn vor sich in die Höhe und bedeutete mir, immer dicht hinter ihm zu bleiben. Auf diese Weise pirschten wir uns an die Brücke heran, wo wir zunächst Boden und Geländer nach Spuren von Pech betasteten. Dann schoben wir uns Schritt für Schritt voran, wobei wir jede einzelne Holzbohle untersuchten, bevor wir einen Fuß darauf setzten.
    „Scheint in Ordnung zu sein“, befand Hartmann, als wir den Fluss zu drei Vierteln überquert hatten. „Kannst du etwas am jenseitigen Ufer erkennen?“
    Ich neigte vorsichtig den Kopf und spähte am Schild vorbei. Das südliche Ufer bildete einen sanft abfallenden Hang, der lediglich mit Gras bewachsen war. Erst oben auf der Böschung begann der Wald. Der Weg führte vom Brückensteg den Hang hinauf. An der Stelle jedoch, wo er die Böschung erreichte, lag ein toter Baumstamm – und als ich eben hinaufblickte, erhob sich hinter diesem Stamm ein dunkler Schatten.
    Erschrocken zog ich den Kopf zurück, und keinen Herzschlag später kam ein Pfeil herangeschwirrt und schlug mit solcher Wucht in den Schild, dass das Holz erzitterte.
    „Er ist oben auf der Böschung!“, rief ich.
    „Jetzt ist es aber genug!“, schrie Hartmann. „Ich hole ihn mir! Vorwärts, Odo!“
    Und mit vermehrter Geschwindigkeit drangen wir im Schutz unseres Schildes vor, bis wir das jenseitige Ufer erreicht hatten. Als ein zweiter Pfeil in den Schild schlug, zog

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