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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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geben, dass der Anblick von Wasser mich schon bald nicht mehr mit Hoffnung erfüllte.
    Unterdessen gab es ein weiteres dringliches Problem, denn wir hatten nichts mehr zu essen. Als wir gegen Mittag rasteten, erbot sich Herbort, allein und nur mit seinem Dolch bewaffnet auf die Jagd zu gehen. Ich erinnerte mich, wie er vor einigen Tagen mit bloßen Händen ein Dutzend Hühner gefangen hatte, und traute ihm durchaus zu, dass er auch diesmal mit Beute zurückkehrte.
    „Wir sollten ein wenig schlafen“, sagte Hartmann zu mir, als Herbort sich entfernt hatte, und setzte sich mit dem Rücken an einen Baum. Er schloss die Augen, und da er mit der Fähigkeit gesegnet war, unter fast allen Umständen schlafen zu können, dauerte es nicht lange, bis er zufrieden schnarchte.
    Mich dagegen ergriff Unruhe. Herbort konnte jederzeit zurückkommen, und auch unser unheimlicher Feind mochte in der Nähe sein. Warum eigentlich blieb ich bei meinem Herrn? Er hatte meinen Vater getötet, und er war auch der Grund, warum ich hier im Feindesland weilte, verloren in der Wildnis, den Tod vor Augen. Einst war ich ihm gefolgt, weil Hunger und Not mich getrieben hatten und weil ich im Dienst eines edlen Herrn auf ein besseres Leben hoffte. Doch die Not hatte mich erneut eingeholt, und Hartmann, der alles andere als ein edler Herr war, konnte mich nicht mehr beschützen. Im Gegenteil: Er hatte sich Herbort zugewandt, dem Räuber und Mörder – und im Grunde, so dachte ich bitter, hatten die beiden einander verdient.
    Allmählich reifte mein Entschluss. Leise erhob ich mich und schlich zum Rand der Senke. Dort wandte ich mich nach Süden und marschierte kurzerhand geradeaus, fort von unserem Lagerplatz und tiefer in den Wald hinein. Angesichts der weglosen Wildnis ringsum hätte mich Furcht beschleichen müssen, doch das Gegenteil war der Fall: Je weiter ich mich entfernte, desto leichter und freier fühlte ich mich. Sollten sie doch beisammenbleiben, Hartmann und Herbort – wenig Freude würden sie aneinander haben, und was unseren unsichtbaren Gegner betraf, so würde er sie vermutlich weiter verfolgen und mich dabei aus den Augen verlieren. Womöglich übte er gar an meiner statt Vergeltung und tötete sie beide.
    Mit solchen Gedanken beschäftigt, erreichte ich eine Lichtung. Zwei Rehe stoben erschrocken auf, als ich mich näherte, und flüchteten in den Wald. Dies rettete vermutlich mein Leben, denn die Tiere hatten mich ebenso erschreckt wie ich sie, so dass ich aufblickte und mich umsah. Dabei fiel mein Blick auf eine hohe Eiche auf der anderen Seite der Lichtung – und für einen Moment sah ich deutlich, wie ein Ast sich bewegte und etwas Kleines, Silbriges zwischen den dichten Blättern aufblitzte.
    Schlagartig verflog mein Hochgefühl, und ich fuhr zurück, um mich hinter einen Baum zu ducken. Hatte ein verirrter Sonnenstrahl mich genarrt, oder war es die Spitze eines Pfeils gewesen? Hockte der Todesschütze dort drüben auf einem Ast und spannte eben seine Waffe?
    „Sieh an!“, sagte eine Stimme hinter mir, und erneut erschrak ich, als aus dem Zwielicht des Waldes eine dunkle Gestalt auf mich zukam. Es war Herbort, der offenbar nahebei auf der Lauer gelegen und die Rehe beobachtet hatte, den blanken Dolch in der Hand.
    „Wolltest du dich davonschleichen?“, fragte der Halsabschneider, indem er dicht an mich herantrat und sein spöttisches Lächeln zeigte. „Verrätst du deinen Herrn?“
    Plötzlich beschloss ich, die Wahrheit zu sagen, um ihn ein für alle Mal loszuwerden.
    „Ja, Herbort!“, stieß ich hervor. „Du hast gewonnen! Ich gehe fort und räume meinen Platz. Nimm ihn ein, wenn du willst. Ich stehe dir nicht mehr im Weg.“
    „Ist das wahr?“ Herbort zog argwöhnisch eine Augenbraue in die Höhe. „Klein-Odo glaubt, er könne allein den Weg nach Hause finden? Ohne seinen Ritter?“
    „Allerdings!“, platzte ich heraus. „Geh doch zu ihm und biete dich ihm als Diener an – oder ermorde ihn, wenn du Lust hast. Es soll mich nicht kümmern.“
    Herbort grinste boshaft. Offenbar glaubte er nicht an die Ernsthaftigkeit meiner Absicht.
    „Du würdest ihn niemals freiwillig verlassen“, meinte er. „Irgendetwas hast du vor. Lass mich raten: Du willst vor uns ins Heerlager zurückgelangen, um die Edlen gegen mich aufzubringen. Du willst ihnen sagen, ich sei ein Räuber und Mörder, damit sie mich in Gewahrsam nehmen, wenn wir nachkommen.“
    „Nein, Herbort, nein, ich schwöre es!“, rief ich.
    Er blickte mich

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