Die Tränen der Vila
Rückgrat beugte und streckte sich unter meinen Händen, während einer ihrer kupfernen Schläfenringe dicht vor meinen Augen pendelte. Ich drückte sie an mich, als wollte ich sie nie wieder loslassen.
„Ich sage dir ein Geheimnis“, flüsterte ich im Bewusstsein, dass sie meine Worte nicht verstand und ich mich niemandem offenbarte als dem Mond hoch über uns. „Ich liebe dich, Svetlana – mein wundervolles Mädchen – meine Vila – mein Herz.“
Und ich fand noch Dutzende anderer Namen, bis meine Liebe schließlich überfloss und sich einen Weg in die geheimnisvollen Tiefen ihres Leibes bahnte.
Die nächsten Tage und Wochen vergingen wie in einem Rausch. Tagsüber kümmerte ich mich um meinen Herrn, und meine Geliebte erfüllte ihre Pflichten bei ihrer Gastfamilie. Die Nächte jedoch gehörten uns, und wir saßen nicht mehr miteinander am Bach, sondern trafen uns stets auf jener Lichtung, wo der Zauber über uns gefallen war. Dies hatte zur Folge, dass meine Tage lang wurden, denn einen guten Teil der Nacht verbrachte ich wachend. Dennoch kam ich auf einmal mit erstaunlich wenig Schlaf aus, und Lana schien es ebenso zu gehen. Es waren die heißesten Tage im August; die Nächte jedoch waren angenehm mild, und auf der kleinen Waldlichtung empfing uns stets das Nebelwesen mit seinem kühlenden Dunst, das ich mehr und mehr als eine wohlgesinnte Macht empfand.
Die meiste Zeit sprachen wir miteinander, denn ich begann die fremde Sprache immer sicherer zu gebrauchen, und nach und nach erfuhr ich vieles aus Lanas Leben, das ich bereits in früheren Kapiteln dieses Manuskripts niedergelegt habe. Schwieriger war es, ihr von meinem Leben zu berichten, denn dies verlangte meiner Sprachkunst das Äußerste ab. Doch sie lauschte mir geduldig, stellte viele Fragen und erfuhr schließlich mehr von mir als je irgendein Mensch – nur Gott könnte tiefer in die Seele eines Menschen blicken, als Lana in meine blickte.
Dann wieder liebten wir uns und waren so hungrig, wie es nur zwei junge Menschen sein konnten, deren gereifte Leiber von jahrelanger Einsamkeit betäubt gewesen waren und desto stürmischer zum Leben erwachten. Danach taten wir manchmal stundenlang nichts anderes, als einander festzuhalten – als ahnten wir, dass es uns nicht bestimmt sein würde, für immer zusammenzubleiben.
Doch an solche Dinge dachte ich nicht bewusst. Im Gegenteil malte ich mir in glücklichen Stunden aus, dass der Krieg womöglich längst vorbei und das Heer des Herzogs nach Sachsen zurückgekehrt sei, dass man mich und Hartmann vergessen habe und dass wir an diesem Ort bleiben könnten, den ich schon jetzt mehr liebte als meine Heimat.
Ich fragte Lana, ob die Menschen im Lager irgendetwas über den Verlauf der Belagerung wüssten, doch sie erklärte mir, dass der abgeschiedene Zufluchtsort keine Verbindung zur Außenwelt habe und die wenigen Späher, die ausgesandt wurden, bislang keine Neuigkeiten erfahren hatten. Stattdessen fragte sie zurück, wie viel ich selbst über den Feldzug wisse, was die Absichten der Sachsen seien und ob man mit einer friedlichen Einigung rechnen könne.
„Ich weiß es nicht“, gab ich zu. „Wenn euer Fürst Niklot Christus als seinen Herrn annimmt, wird der Herzog dein Volk vielleicht schonen.“
„Christus“, wiederholte Lana, die den Namen offensichtlich schon gehört hatte. „Das ist euer Gott, nicht wahr?“
„Nun – nein, eigentlich ist er nicht Gott, sondern der Sohn Gottes.“
„Auch wir haben einen Gottessohn“, sagte Lana nachdenklich. „Svarog, der Gott des himmlischen Feuers, zeugte Svarozic, den Gott der Sonne. Ist euer Christus auch ein Sonnengott?“
„Nein, er war ein Mensch“, versuchte ich zu erklären. „Aber zugleich war er der Sohn Gottes. Er litt für die Sünden der Welt und starb am Kreuz …“
„Er starb? “ Lana zog ungläubig die Augenbrauen zusammen. „Wie kann ein Gott sterben?“
„Er ist am dritten Tag wiederauferstanden.“
„Wo ist er jetzt?“
„Im Himmel, bei seinem Vater.“
„Und wo hat er als Mensch gelebt?“
„In einem fernen Land weit im Osten, eine ganze Jahresreise von hier. Dort gibt es riesige Wüsten, keine Wälder und Sümpfe wie hier, und es ist sehr heiß dort, denn die Sonne scheint das ganze Jahr über.“
Lana blickte nachdenklich zu Boden. „Genügt es ihm denn nicht, wenn er in jenem fernen Land ein Gott ist? Was will er von uns? Hier gibt es keine Wüsten. Unsere Wälder sind dicht und voller Leben, und die Winter
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