Die Tränen der Vila
sein.“
Hartmann machte eine wegwerfende Handbewegung. „Denk nicht an das, was die Priester sagen. Ich jedenfalls sehe dir an, dass du glücklich bist – und das kannst du mir glauben, denn ich kenne dich lange genug und weiß, was für ein ernster Junge du gewöhnlich bist. Seit zwei Wochen strahlen deine Augen, wie sie noch nie gestrahlt haben. Du brauchst kaum noch Schlaf, du isst und trinkst nur das Nötigste, und trotzdem bist du allzeit kräftig und gesund. Selbst dein Bart beginnt auf einmal zu sprießen, als hätte man eine vergessene Saat bewässert.“
Ich fuhr mir schamhaft mit der Hand ans Kinn, das in der Tat seit kurzem von blondem Flaum bedeckt war.
„Sieh den Tatsachen ins Auge!“ Hartmann lachte gutmütig. „Du bist verliebt, mein Junge.“
„Dennoch habe ich Angst“, sagte ich. „Ich bin Sachse und Christ; sie ist eine Wendin. Selbst wenn Gott mir vergibt – wird er zulassen, dass diese Liebe dauert?“
Hartmann seufzte. „Mein lieber Odo, ich weiß wohl, dass du mich nicht für einen guten Christen hältst. Wenn du dennoch meine Meinung hören willst, werde ich sie dir sagen: Ich glaube durchaus, dass es einen Gott im Himmel gibt, dass er die Erde geschaffen hat und auch uns Menschen. Doch er hat die Welt sich selbst überlassen, und es ist ihm gleichgültig, ob wir lieben oder hassen, leiden oder sterben. Darum sage ich dir: Nimm, was zu bekommen kannst, und denk niemals darüber nach, was die Zukunft bringt. Glück ist nie von Dauer – und Liebe schon gar nicht.“
Ich senkte entmutigt den Kopf. Diese Meinung hatte ich von ihm erwartet.
„Nach Lage der Dinge“, fuhr er fort, „kann ich mir nur zweierlei Ausgänge unseres Abenteuers vorstellen. Wenn der Wendenfürst in Dobin der Belagerung standhält, wird Herzog Heinrich die Burg am Ende stürmen lassen. Es wird ein Massaker geben, und die Wenden werden alle gefangenen Christen töten, bevor sie fliehen oder selbst erschlagen werden. Wenn die Kunde davon bis hierher dringt, wird man auch uns gegenüber keine Gnade walten lassen. Die andere Möglichkeit besteht darin, dass der Wendenfürst sich dem Herzog unterwirft und Friedensbedingungen mit ihm aushandelt. Ich kenne die Gepflogenheiten. Heinrich wird einen jährlichen Tribut verlangen, außerdem die Öffnung des Landes für die christliche Mission und drittens die Auslieferung der Gefangenen. In diesem Fall wird man auch uns freilassen, und wir werden nach Hause zurückkehren.“ Hartmann blickte mich ernst an. „Glaubst du, dass dein Mädchen dir nach Sachsen folgen würde?“
„Niemals täte sie das“, erkannte ich mit Bestimmtheit. „Sie ist hier geboren, und unser Land, unsere Sitten und unser Gott sind ihr fremd. Ich selbst könnte sie mir in keiner anderen Umgebung vorstellen als hier, in den Wäldern ihrer Heimat.“
Hartmann nickte. „Siehst du. Also wirst du dein Mädchen in jedem Fall verlieren – es sei denn, du willst hierbleiben und als Wende leben.“
Dieser Gedanke war so neu und von so erschreckender Tragweite, dass ich kaum wagte, ihn zu denken. Würden die Wenden mir gestatten, Lana zu heiraten und hier mit ihr zu leben? Und war ich selbst in der Lage, mich von meiner Heimat loszusagen? Gewiss gab es wenig, was mich an meine Herkunft band, denn ich ließ weder Angehörige noch Besitz in Sachsen zurück. Dennoch erschreckte mich die Vorstellung, niemals in mein Land zurückzukehren, wo die Menschen Deutsch sprachen, wo die Wälder lichter waren und das vertraute Läuten der Kirchenglocken erklang.
„Du bist noch jung“, nahm Hartmann den Faden wieder auf. „Und die Jugend sehnt sich stets nach Ewigkeit. Hättest du erlebt, was ich erlebt habe, wärst du bescheidener und würdest den Augenblick ergreifen, statt an die Zukunft zu denken.“
„Was habt Ihr denn erlebt?“, wagte ich zu fragen. „Hattet Ihr jemals ein Mädchen?“
„Aber ja“, erwiderte er offenherzig. „Hunderte Male für eine Nacht, vielleicht ein Dutzend Mal für Wochen und zweimal für eine längere Zeit.“
„Dennoch habt Ihr nicht geheiratet.“
„Es scheiterte an den Umständen“, sagte Hartmann seufzend. „Meine erste Geliebte war die Tochter eines leibeigenen Schmieds in Franken – ich war damals kaum älter, als du heute bist. Doch ich war ein Edelmann, und so zerriss sich meine ganze Familie das Maul über diese unpassende Liebschaft. Das war mir gleichgültig, denn es gab kein Erbe, das ich verlieren konnte, da ich als jüngerer Sohn meines Vaters
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