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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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von Herzog Heinrich und auch vom Gott der Christen lossagen“, versetzte Niklot. „Du müsstest zu meinem Volk übertreten. Damit wärst du auch meiner Herrschaft unterworfen – was bedeutet, dass du mir jeden Dienst leisten müsstest, den ich in Krieg oder Frieden von dir verlange.“
    „Ihr meint … ich müsste für Euch kämpfen?“, fragte ich erschrocken. „Das Schwert gegen meine Landsleute erheben?“
    Niklot hob beschwichtigend die Hand. „Das würde ich nicht unbedingt verlangen, denn ich sehe wohl, dass du nicht zum Kriegsmann geboren bist – doch ich glaube, dass du ein Mensch von großer Umsicht und geistigen Gaben bist; das beweist schon deine besonnene Redeweise. Du wärst geeignet, mir auf eine Weise zu dienen, die weniger kräftige Arme als eine gewandte Zunge verlangt. Beispielsweise könnte ich dich zu deinen Leuten zurückschicken, um ihre Absichten zu erkunden und Einfluss auf ihre Entscheidungen zu nehmen.“
    „Ihr erwartet, dass ich meine Leute verrate und Euch als Spion diene?“
    „Ich spreche von den Leuten, aus deren Gefangenschaft mein Sohn dich befreite!“, fuhr Niklot wütend auf. „Was bedeutet schon ein Verrat ihnen gegenüber? Sind nicht eure Fürsten selbst Verräter, an uns und sogar an ihresgleichen? Ich habe deinem Herzog nie ein Haar gekrümmt und ihm keinen Anlass zur Fehde gegeben. Er aber bricht den Frieden, bedrängt mein Volk und verwüstet mein Land! Eure Fürsten reden gern von der heiligen Sache ihres Glaubens. Sie beschwören die Liebe Gottes und gebrauchen das Schwert – sie behaupten, Vergebung zu bringen, und üben dennoch Vergeltung – sie lehren Demut, doch wollen sie alle Länder der Welt ihrer Herrschaft unterwerfen! Ist das nicht die Sprache des Verrats?“
    Ich schwieg, denn ich fühlte wohl, dass seine Worte Wahrheit enthielten.
    „Was bindet dich an deine Herkunft? Hast du Familie und Besitz in Sachsen?“
    „Nein, Herr.“
    „Bist du dort glücklich gewesen?“
    „Nein, Herr“, musste ich eingestehen, denn ich dachte an die Einsamkeit meiner Jugend.
    „Dann verrate die Verräter“, fuhr Niklot fort, „und ich werde dafür sorgen, dass du unter meinem Schutz in Frieden und Wohlstand leben kannst! Zuvor jedoch verlange ich einen Beweis, dass ich dir trauen kann.“
    „Einen Beweis?“, fragte ich misstrauisch.
    „Einen Beweis, dass du dich gänzlich von meinen Feinden lossagst“, bestätigte Niklot. Er hielt in seinem Rundgang inne und zog einen Dolch aus den Falten seines Gewands. „Töte einen der Deinen, und ich will dir vertrauen. Nimm diesen Dolch und stoße ihn dem Ritter ins Herz, dem du bisher gedient hast. Wenn du das fertigbringst, werde ich bereit sein, dich in meinen Dienst zu nehmen.“
    Ungläubig starrte ich auf die dargebotene Waffe. Fast war ich ihm dankbar für dieses ungeheuerliche Ansinnen, denn es erleichterte mir die Entscheidung.
    „Das kann ich nicht tun, Herr“, sagte ich fest. „Um keinen Preis der Welt.“
    „Auch nicht um den Preis deines Mädchens?“, fragte der Fürst.
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Was bindet dich an diesen sächsischen Ritter? Bist du schon lange in seinem Dienst?“
    „Nein, Herr.“
    „Ist er ein guter Mensch ohne Laster und Tadel, ein Vorbild an Tugend und Gerechtigkeit?“
    Ich zögerte. „Nein, Herr“, gab ich schließlich zu.
    „Was ist es dann?“, beharrte Niklot. „Worin besteht sein Wert für dich?“
    „Ich kann es Euch nicht erklären, Herr“, gestand ich. Tatsächlich konnte ich es mir selbst nicht erklären: Hartmann war der Mörder meines Vaters und hätte um ein Haar auch meiner Geliebten Gewalt angetan – dennoch hätte ich niemals geduldet, dass ihm ein Leid geschah, solange ich es verhindern konnte.
    Niklot schien zu begreifen, dass mein Entschluss unumstößlich war, steckte den Dolch wieder ein und begann erneut, im Kreis umherzugehen.
    „Du erkennst die Falschheit und Schlechtigkeit der Fürsten, denen du dienst“, sagte er. „Ich sehe es dir an. Dennoch willst du ihnen nicht absagen und auf meine Seite wechseln. Du hast weder Besitzungen in deiner Heimat, noch warst du dort zufrieden, und dennoch willst du zurückkehren. Und du gestehst offen, dass der Ritter, dem du dienst, kein guter Mensch ist, und dennoch versuchst du ihn zu schützen. Ich verstehe dich nicht, Sjostje – umso weniger, als ich spüre, dass du klug und verständig bist.“
    „Vielleicht“, wagte ich mit einiger Mühe in der fremden Sprache zu formulieren, „ist es Liebe, die

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