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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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sächsischen wie des dänischen Heeres. Einmal in der Woche legte dort bei Nacht ein Boot an, um Versorgungsgüter zu bringen. Die Mannschaft, die es ruderte, lagerte in einem Versteck am Westufer des Sees.
    Um die gespannte Stimmung in unserem Gefängnis zu lockern, bot ich stets auch den Dänen etwas von Lanas Sonderrationen an. Diese Freundlichkeit wurde mir allerdings schlecht gedankt, denn Erik wies mich hochmütig ab und hieb auch seinen Landsleuten auf die Finger, sobald diese Anstalten machten, etwas aus meinen Händen anzunehmen. Anfangs erklärte ich mir die Zurückweisung mit dem verletzten Stolz des Hauptmanns, der noch vor kurzem unser Gefangenenwärter gewesen und nun zwangsweise mit uns auf die gleiche Stufe gestellt war.
    Der wahre Grund jedoch – dies fand ich rasch heraus – war Lana. Zwar blieb mir unbegreiflich, was der vierschrötige, blonde Krieger an dem schmalen, schwarzhaarigen Mädchen finden mochte, doch belauerte er sie bei jedem Besuch mit Blicken, aus denen ich ein ebenso schlichtes wie heftiges Verlangen las. Es war offensichtlich: Dieser rohe und grausame Mensch, dem ich kaum zartere Gefühle zugetraut hätte, hatte sich in Lana verliebt. Seinem schlichten Gemüt entsprechend nahm diese Regung bisweilen fast komische Züge an, vor allem, wenn er sie mit offenem Mund anstarrte, wobei er sich unwillkürlich die Spitzen seines Schnurrbarts leckte. Während er jedoch auf Lanas Erscheinen wie ein Hund ansprach, der eines saftigen Knochens ansichtig wird, verfiel er mir gegenüber in eine wilde Eifersucht, die eines Tieres nicht weniger würdig war. Stets, wenn Lana gegangen war, traf mich der hasserfüllte Blick seiner Augen, als erwöge er, wie er mir einen besonders grausamen Tod bereiten könne.
    Je angespannter die Lage wurde, desto intensiver planten wir in geflüsterten Gesprächen unsere Flucht. Auch hierbei beobachteten die Dänen uns misstrauisch. Allerdings schienen sie unser Deutsch nur schwer zu verstehen, so dass Hartmann, Walfried, Humbert und ich uns relativ sorglos unterhalten konnten. Die Schlüsselperson in all unseren Plänen war natürlich Lana. Sie hatte die Lage über der Erde längst ausreichend erkundet, zögerte jedoch, das Wagnis einzugehen, da es für uns alle tödlich enden konnte.
    „Die Falltür ist nicht verschlossen“, flüsterte sie mir bei einer unserer heimlichen Begegnungen durch das Gitter zu. Es war noch früher Morgen, und meine Mitgefangenen schliefen. „Es gibt einen Riegel, aber man kann ihn ohne weiteres von Hand herausziehen und die Klappe öffnen. Nur was dann?“
    Ich nickte resigniert. Es war undenkbar, dass wir alle nacheinander hinaufklettern und quer über den Burghof laufen sollten, der voller Menschen war. Zudem behinderte Hartmann mit seinem verletzten Bein alle Pläne, die auf Geschwindigkeit beruhten.
    „Du allein könntest es schaffen“, sagte Lana leise. „Wenn wir warten, bis alle anderen schlafen, und ich die Klappe so leise wie möglich öffne …“
    „Ich kann Hartmann nicht allein lassen“, gab ich zurück. „Womöglich töten ihn die Wenden, wenn sie feststellen, dass ich fort bin.“
    „Na und?“, zischte Lana, die sogleich jenen starren Ausdruck annahm, den ich ihr steinernes Gesicht nannte. „Was liegt dir an ihm?“
    Diese Frage hatte mir auch Niklot gestellt, und erneut war ich um eine nachvollziehbare Antwort verlegen.
    „Bitte, Lana“, flüsterte ich, „versuch mich zu verstehen. Ich kann nicht ohne ihn gehen. Er ist … so etwas wie mein Vater.“
    „Der Mörder deines Vaters“, stellte sie richtig – so leise, dass ich die Worte von ihren Lippen ablesen musste.
    „Ich weiß.“ Ich seufzte. „Ich kann es dir nicht erklären, aber ich glaube, Gott hat ihn und mich zusammengeführt, damit wir füreinander sorgen.“
    „Und hat dein Gott nicht auch dich und mich zusammengeführt?“, fragte sie.
    Ich senkte beschämt den Blick. Natürlich war Lana mir wichtiger als alles andere auf der Welt; dennoch hoffte ich auf einen Einfall, der mir das Entkommen ermöglichte, ohne Hartmann im Stich zu lassen.
    „Wir wissen ja nicht einmal, wohin wir gehen sollen“, wich ich aus.
    „Ich dachte, das wäre geklärt“, flüsterte Lana. „Wir laufen über den Burghof und nehmen den Eingang zu dem unterirdischen Tunnel.“
    In diesem Augenblick wurden wir unterbrochen, denn Lanas Kopf ruckte zur Seite – offenbar näherte sich der Wächter.
    „Ich komme morgen wieder“, wisperte sie, beugte sich rasch herab

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