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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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ebenjenen, der mit dem Speer auf mich gezielt hatte. Sie brachten ihn lebend zu mir, denn es war ausgemacht, dass wendische Gefangene zunächst verhört werden sollten, und alle wussten, dass ich die wendische Sprache beherrschte.
    Während zwei der Männer meinen gebrochenen Arm einrichteten – mit wenig Feingefühl, so dass ich gellend aufschrie –, wurde ein Bote zur Spitze des Heereszugs geschickt, um den Herzog herbeizurufen. Ungeachtet meiner Verletzung gebot mir Heinrich, augenblicklich den jungen Mann zu befragen, der vor Angst zitterte. Auf diese Weise erfuhren wir, dass die Angreifer keine Krieger waren, sondern nur eine Bande heimatloser Bauernburschen, die durch den Krieg verwaist waren und sich zum verzweifelten Widerstand gegen die sächsische Fremdherrschaft verschworen hatten. Als sie von Pribislavs Niederlage und vom Durchzug unseres Heeres hörten, hatten sie sich an der Straße auf die Lauer gelegt.
    Als ich den jungen Mann genauer betrachtete, sprang mir das Herz in die Kehle, und die Schmerzen meines gebrochenen Arms verblassten, da sie von einem inneren Schmerz ganz anderer Art verdrängt wurden. Ich fragte den Gefangenen, wann er geboren sei. Er antwortete: vor achtzehn Jahren. Ich fragte nach seiner Familie. Er gab an, das einzige Kind seiner Mutter zu sein und seinen Vater nie gekannt zu haben. Ich fragte nach dem Verbleib seiner Mutter. Da verstummte er, senkte den Kopf und sagte, sie sei verschollen und vermutlich tot. Ich beschwor ihn, mir bei all seinen Göttern die Wahrheit dieser Worte zu versichern – und er tat es.
    „Also nur ein harmloser Bauernbursche“, sagte Herzog Heinrich, nachdem ich ihm das Geständnis des Jungen übersetzt hatte. „Dennoch ist er ein Hochverräter. Hängt ihn auf, wie es sich für solche Rechtlosen geziemt.“
    „Nein, Herr!“, fuhr ich auf. „Ich bitte Euch!“
    Der Herzog zog erstaunt eine Augenbraue hoch.
    „Der Junge warf seinen Speer nach mir!“, sagte ich, „Eure Ritter können es bezeugen. Er wollte mich töten – daher sollte sein Leben mir gehören.“
    Heinrich zuckte mit den Achseln. „Gut. Wenn du Wert darauf legst, ihn mit eigener Hand zu töten, sei es dir gewährt.“
    „Nicht das begehre ich“, erwiderte ich und suchte fieberhaft nach den richtigen Worten, um ihn von meinem Anliegen zu überzeugen. „Ich bitte Euch vielmehr, Herr, dass Ihr ihn mir als Diener übergebt. Durch seinen Angriff bin ich gestürzt und habe mir den Arm gebrochen, was mir bei der Arbeit auf meinem Gut manche Beschwerden bereiten wird. Daher wäre es nur recht und billig, wenn er mein Knecht wird und mich durch seinen Dienst entschädigt.“
    Bis heute danke ich Gott, dass er mir diese Worte eingab, denn so wenig sie der Wahrheit entsprachen, so einleuchtend klangen sie doch. Selbst Herzog Heinrich, der zunächst unwillig den Mund verzogen hatte, schien meinen Wunsch zu überdenken.
    „Also gut“, sagte er schließlich. „Es sei, wie du erbittest. Aber halte ihn in Fesseln und gib gut auf ihn acht, bis wir zurück in Sachsen sind. Er ist ein verblendeter junger Hitzkopf, und falls er sich befreien sollte, haftest du mir mit deinem Leben für ihn.“
    „Ich danke Euch, Herr“, sagte ich aufatmend.
    Und so wurde ein junger Wende von achtzehn Jahren mein Knecht. Nicht, dass er mir die Rettung seines Lebens im Mindesten dankte – das konnte ich auch nicht erwarten, zumal er kein Sächsisch verstand und nicht ahnte, wie eindringlich ich um Schonung für ihn gebeten hatte. Der Gefangene gebärdete sich wie ein wilder junger Hengst, wehrte sich gegen jede Annäherung und verweigerte anfangs sogar die Nahrung, die ich ihm anbot. Da ich es nicht über mich brachte, ihn mit der Waffe zur Ruhe zu zwingen, blieb mir keine Wahl, als ihm die Hände auf den Rücken zu fesseln und einen Strick um seinen Hals zu legen. Diesen band ich an den Brustriemen meines Pferdes, woraufhin der junge Mann mit finster verschlossenem Blick neben mir einherschritt.
    Das Herz blutete mir bei diesem Anblick – denn du warst es ja, mein Sohn, den ich so zu misshandeln genötigt war.
    Du magst fragen, woran ich dich erkannte. Du hattest keine Ähnlichkeit mit mir, die dem flüchtigen Blick auffallen konnte, sondern warst von kleinerem Wuchs, zartgliedrig und braunäugig, mit schwarzgelocktem Haar. Um deinen Hals jedoch trugst du ein ledernes Band, und an diesem hing eine kleine, aus Eichenholz geschnitzte Figur. Sie besaß die Gestalt eines Mannes mit spindelförmigem Rumpf und

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