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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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gut, wie Warmund mich eines Abends aufforderte, an dem Mühlstein Platz zu nehmen, der den Räubern als Tafel diente, und meine Geschichte zu erzählen. Die übrigen Männer waren bereits betrunken und in Schlaf gefallen. Einzig Warmund schien stocknüchtern, und da er mir mit größter Aufmerksamkeit lauschte, vertraute ich ihm schließlich alles an, was ich seit der Zerstörung meines Heimatdorfes erlebt hatte.
    „Du bist also mitten in den Krieg geraten“, sagte er sinnend, als ich von meiner Flucht berichtete. „Armer Junge. Das ganze Herzogtum Sachsen ist derzeit ein Schlachtfeld. Es ist ein Glück, dass wir uns in dieser abgelegenen Gegend niedergelassen haben, denn bislang sind wir vom Krieg völlig unberührt geblieben.“
    „Was ist das eigentlich für ein Krieg?“, fragte ich in der Hoffnung, endlich jemanden gefunden zu haben, der die Zusammenhänge durchschaute. „Könnt Ihr mir erklären, wer gegen wen kämpft, und warum?“
    „Sag du zu mir“, erwiderte Warmund und nahm einen sorgfältig bemessenen Schluck Wein aus seinem Becher. „Es ist lange her, dass ich ein Freiherr war, und ich möchte nicht daran erinnert werden.“
    Ich schwieg betreten und wartete, dass er auf meine Frage zurückkam.
    „Wie du sicher weißt“, begann er schließlich, „starb vor drei Jahren Kaiser Lothar, ohne einen männlichen Erben zu hinterlassen.“
    Ich wusste es nicht, nickte jedoch, um ihn zum Weitersprechen zu ermutigen.
    „Wenn ein Fürst ohne Erben stirbt“, fuhr Warmund fort, „ist das stets eine Gelegenheit für die Edlen, sich um seinen Nachlass zu balgen, selbst wenn sie ihm zu Lebzeiten Treue geschworen hatten. Ein toter Fürst ist wie ein Stück Fleisch, das in einen Hundezwinger geworfen wird. Jeder Hund wird trachten, das beste Stück für sich herauszureißen, und wenn möglich, wird er sogar versuchen, die Beute in eine Ecke zu zerren und ganz für sich zu behalten. Am Ende kommt es leicht dazu, dass die Hunde sich in ihrer Wut gegenseitig totbeißen.“ Er schmunzelte auf seine charakteristische, bittersüße Art und nahm einen weiteren Schluck Wein. „Noch auf dem Sterbebett hatte Lothar seinen Nachfolger bestimmt: Heinrich den Stolzen, seinen Schwiegersohn. Doch es gab viele, die verhindern wollten, dass Heinrich König der Deutschen und Kaiser unseres Heiligen Römischen Reiches würde.“
    „Warum?“, fragte ich erstaunt, denn ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass dem Willen eines sterbenden Kaisers nicht gehorcht wurde.
    „Aus vielerlei Gründen“, sagte Warmund. „Manche Fürsten stellen sich gegen einen König, weil sie selbst König werden wollen, andere wiederum, weil er in irgendeinem Streit ihre Feinde begünstigt hat, und manche schlicht, weil sie einen Anlass zum Krieg suchen, durch den sie ihr Land vergrößern können. Heinrichs Gegner fanden sich zu einer geheimen Versammlung ein, wählten den Staufer Konrad zum König und ließen ihn vom päpstlichen Gesandten krönen, bevor Heinrich Einspruch erheben konnte.“
    „Das ist ja unglaublich!“, rief ich aus – und tatsächlich erschienen mir diese Machenschaften kaum weniger schlimm als der Raub eines Geldbeutels.
    „Aber so war es“, bestätigte Warmund und leerte seinen Weinbecher. „Und schlimmer noch: Der neue König forderte Heinrich auf, das Herzogtum Sachsen an den Markgrafen Albrecht abzutreten – und als Heinrich sich weigerte, sprach man die Acht über ihn aus.“
    „Unser Herzog ist geächtet? “, fragte ich ungläubig.
    Warmund lächelte. „Du siehst, nicht nur Räuber sind Geächtete. Seitdem führen Herzog Heinrich und Markgraf Albrecht Krieg gegeneinander. Es ist kein Wunder, dass deine Heimat als Erstes überfallen wurde, denn sie grenzt an Albrechts Besitzungen. Du bist mitten zwischen zwei erbitterten Feinden aufgewachsen, mein armer Junge.“
    „Und von alldem hat niemand in unserem Dorf etwas gewusst“, sagte ich betroffen.
    „Glaub mir, mein Junge, die wenigsten Menschen verstehen diese Zusammenhänge, und die meisten, die im Krieg sterben, haben keine Ahnung, warum er geführt wird. Doch sei beruhigt, für uns ist die Lage günstig. Solange der Krieg andauert, haben die Hofbeamten und Stadtvögte anderes zu tun, als sich um Wegelagerer in den Wäldern zu kümmern.“
    „Wem gehören eigentlich diese Wälder?“, fragte ich.
    „Das meiste Land im Umkreis ist Kirchengut, Eigentum des Bischofs von Verden oder des Klosters in Walsrode. Auch das ist günstig für uns, denn die

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