Die Tränen der Vila
doch!“
„Juden und Wenden!“, entgegnete Herbort. „Das hast du selbst gesagt! Wir töten nur Juden und Wenden! Hast du das gesagt oder nicht?“
Bertolt fluchte.
„Und den anderen nehme ich mir auch vor“, sagte Herbort und wandte sich zum Gehen. „Sonst hetzt er uns noch den Vogt auf den Hals.“
„Aber er spricht doch kein Wort Deutsch!“, rief ich entsetzt. „Wem soll er schon von uns erzählen? Bitte lasst ihn gehen!“
Doch Herbort pirschte bereits mit gezücktem Dolch zur Straße, und als Bertolt keine Anstalten machte, ihn zurückzuhalten, sank ich an einem Baumstamm nieder und barg das Gesicht in den Händen. Wir mochten Diebe sein, doch bisher war kein Mensch von unserer Hand gestorben. Der Gedanke, dass Herbort nun auch den jungen Mann erdolchen würde, der kaum älter war als ich, ließ mich zittern. Heimlich wünschte ich, der Wende möge den Ruf seines Vaters gehört haben und fortgeeilt sein; ja, ich sandte sogar – was ich seit langem nicht mehr getan hatte – ein stummes Gebet an die Gottesmutter. Als Herbort jedoch nach einiger Zeit zurückkehrte, sah er höchst befriedigt aus und wischte seinen Dolch an einem Grasbüschel ab.
„Also gut“, sagte Bertolt, der wie alle anderen stumm gewartet hatte. „Burkhard und Warmund, ihr holt den Karren von der Straße. Herbort, sieh zu, dass du die Sauerei beseitigst, die du angerichtet hast! Schaff die Leichen in den Wald und vergrabe sie.“
Die Männer erhoben sich, und auch ich kam auf meine zittrigen Beine.
Am Abend dieses Tages war die Stimmung in der Mühle gedrückt. Die Männer hatten den Karren zu ihrem Unterschlupf gebracht und den Zugochsen im Stall untergestellt. Andere Beute jedoch gab es nicht, und so saßen wir schweigend um den Mühlstein und verzehrten ein Abendessen aus Hammelfleisch, das Hildegard auftrug. Selbst Bertolt schien schlecht gelaunt und wich den Nachfragen seiner Gattin über die Geschehnisse des Tages aus. Lediglich Herbort sprach seinem Essen mit dem üblichen Appetit zu und blickte immer wieder herausfordernd in die Runde, als wartete er nur auf denjenigen, der es wagen würde, seine Tat zu tadeln.
Erst als alle ausreichend Wein getrunken hatten, löste sich die Spannung ein wenig. Hein und Sigwalt schliefen ein, während Burkhard sich in eine Ecke zurückzog, um an einem neuen Bogen zu schnitzen. Als Herbort hinausging, um seine Notdurft zu verrichten, wandte ich mich an Warmund und Bertolt, die stumm in ihre Becher starrten.
„Was waren das für Männer?“, fragte ich. „Was sind Wenden?“
Bertolt machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ungläubige, die jenseits der Elbe in den Wäldern des Ostens leben. Mach dir keine Sorgen um dein Seelenheil, Odo. Sie glauben nicht an unseren Herrn Jesus Christus und werden ohnehin allesamt zur Hölle fahren.“
„So nahe bei uns gibt es Ungläubige?“, fragte ich erstaunt. Soweit ich gehört hatte, waren die Ungläubigen weit fort im Heiligen Land, wo sie das Grab Christi in ihren Klauen hielten.
„Aber ja“, sagte Warmund. „Sie treiben Handel mit den Holsteinern und mit den Bauern im Bardengau. Dort duldet man sie; es ist lediglich verboten, Waffen an sie zu verkaufen. Viele Könige haben schon versucht, über die Elbe vorzustoßen und sie durch Kriege zu unterwerfen.“
„Und wurden sie nicht besiegt?“, fragte ich.
„Doch.“ Warmund schmunzelte. „Aber die Wenden kümmert es nicht. Solange der Krieg dauert, verbergen sie sich in Wäldern und Sümpfen, bis der Gegner wieder abgezogen ist. Viele Missionare wurden schon zu ihnen geschickt – aber kaum waren sie wieder fort, warfen die Wenden die Kreuze in den nächsten Fluss und opferten wieder ihren heidnischen Götzen. Ich hörte einmal, dass ein spanischer Mönch namens Bernhard zu den Wenden reiste. Angeblich setzten sie ihn in ein Boot, stießen es vom Ufer fort und sagten ihm, er solle sie in Ruhe lassen und lieber den Fischen predigen.“ Warmund grinste schief, wie es seine Art war.
„Ich sage doch: Es sind Hunde!“ Bertolt schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ich bin vielleicht ein Gesetzloser, aber besser als ein Wende bin ich allemal, und ich glaube an unseren Herrn Jesus Christus!“ Und als das merkwürdige Lächeln auf Warmunds Gesicht nicht weichen wollte, stieß er ihn grob in die Seite. „Du etwa nicht?“
Zum Glück wurde der ehemalige Mönch von der Notwendigkeit einer Antwort befreit, denn soeben ging die Tür der Mühle auf und Herbort kam herein.
„Dieser
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