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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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hatte er sich in seiner Angst beschmutzt, da er offenbar nicht damit gerechnet hatte, mit dem Leben davonzukommen. Bertolt mahnte seine Kumpane, still zu sein, die Beute aufzunehmen und sich rasch zurückzuziehen.
    „Nicht schlecht, Junge!“, sagte er und klopfte mir auf die Schulter, als wir uns davonmachten. „Und damit wir uns richtig verstehen: Komm nicht auf die Idee, wegzulaufen! Die Leute dort draußen haben keinen von uns gesehen, aber dich haben sie gesehen und werden sich an dein Gesicht erinnern. Es liegt also in deinem eigenen Interesse, dass du bei uns bleibst und tust, was ich dir sage.“
    An diesem Abend kehrten die Räuber früh in die Mühle zurück und feierten, wie sie es selten getan hatten. Der berittene Edle hatte einen prall gefüllten Geldbeutel voller Silbertaler bei sich gehabt, außerdem ein Schwert in kunstvoll beschlagener Scheide, einen Gürtel mit silberner Schnalle und einen guten Tuchrock nebst fein gearbeiteten Stiefeln. Sogleich entbrannte der übliche Streit um die Beute, doch angesichts des reichen Ertrags zeigte Bertolt sich großzügig, verteilte das Geld und behielt nur fünf Silberstücke für die Hauskasse zurück – eine schwere Eichentruhe, deren Schlüssel er stets an einem Lederband um den Hals trug. Länger dauerte der Zank um Kleidung und Waffen, die stets nach Bedürftigkeit verteilt wurden, denn sowohl Sigwalt als auch Burkhard versuchten ihren Hauptmann von der Notwendigkeit zu überzeugen, ihr zerschlissenes Obergewand gegen einen guten Rock einzutauschen.
    „Den kann gar keiner von uns tragen“, brummte Bertolt, der das kostbare Gewand musterte. „Zu auffällig. Hildegard wird ihn zerschneiden, und dann verkaufen wir den Stoff.“
    Sigwalt und Burkhard murrten, doch Bertolt versöhnte sie, indem er ihnen einen Anteil vom Erlös versprach. Die Stiefel gab er Hein, dessen schlichte Lederschuhe infolge seines Dienstes als Läufer schmutzig und zerkratzt waren. Das Schwert erhielt Herbort, der beste Kämpfer der Bande, während Bertolt den Gürtel für sich nahm. Ich selbst erhielt vorläufig nichts für meinen unfreiwilligen Dienst, war jedoch mehr als zufrieden mit dem guten Essen und machte mich hungrig über einen Schafschenkel her.
    „Ich sagte doch: Den Jungen können wir brauchen!“, tönte Bertolt. „Das Geld, das wir heute eingenommen haben, wird reichen, um uns über den Winter zu bringen. Das bedeutet allerdings, dass wir zum Markt gehen müssen.“
    „Wer ist an der Reihe?“, fragte Burkhard in die Runde – und ich begriff, dass der Besuch des Marktes eine ungeliebte Aufgabe war, der sich die Räuber abwechselnd unterziehen mussten. Sicher gingen sie ungern in die Stadt, wo die Soldaten des Vogts allgegenwärtig waren.
    „Sigwalt und Hein!“, bestimmte Bertolt. „Ihr geht als Vater und Sohn in Bauerntracht. Kauft geräuchertes Fleisch und reichlich haltbares Brot. Wir können es draußen in der Erdgrube lagern, wenn der Frost kommt.“
    Hein seufzte ergeben, während Sigwalt, der nicht mit großen Geisteskräften gesegnet war, einfältig grinste.
    „Mit dieser neuen Masche könnten wir jede Woche einen Edlen ausnehmen“, bemerkte Herbort, der seinen dritten Weinbecher leerte.
    „Nein“, beschied Bertolt knapp. „Es würde sich zu rasch herumsprechen. Wenn wir mehrere Hofbeamte desselben Herrn erwischen, dann schickt man womöglich Kriegsknechte aus, um die Wälder zu durchkämmen. Wir dürfen so etwas höchstens alle drei Monate machen. Für den Rest der Zeit sollten wir uns wie üblich an fahrende Händler halten.“
    „Das Problem wäre ganz einfach damit zu lösen, dass du mir endlich Erlaubnis gibst, die Kerle abzustechen!“, widersprach Herbort. „Dann können sie niemandem mehr etwas berichten.“
    „Ich sage es dir noch einmal“, erwiderte Bertolt streng. „Ich töte keine Christenmenschen – nur Juden und Wenden. Wenn dir das nicht passt, musst du dir eine andere Bande suchen, oder du kannst wieder allein als Halsabschneider durch die Welt irren.“
    Offenbar war Bertolt der Einzige, der so mit Herbort zu reden wagte, denn die anderen Männer scheuten den finsteren Gesellen, an dessen langes Messer ich mich nur zu gut erinnerte. Gegenüber seinem Hauptmann jedoch wagte Herbort keinen Widerspruch, sondern verzog nur den Mund und leerte stumm seinen Weinbecher.

Von den nächsten Jahren
    Es mag unglaublich erscheinen, doch ich blieb bei den Räubern. Spätestens als der Winter kam, ließ ich jeden Gedanken an Flucht fahren

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