Die Tränen der Vila
über die Brustwehr herab und schien zu Graf Adolf zu sprechen. Ein längerer Wortwechsel folgte, doch am Ende winkte der Graf seinem Gefolge zum Rückzug.
Diesseits des Wassergrabens erwartete der Herzog seinen jungen Vasallen und wechselte leise Worte mit ihm. Dann wandte er sich den Edlen des Heeres zu und befahl ihnen, sich außer Schussweite zurückzuziehen, die Zelte aufzuschlagen und sich zu einer Beratung zu versammeln. Auch Hartmann und ich schlossen uns an.
„Erzählt, was geschehen ist“, befahl der Herzog dem Grafen, während er sichtlich erbost auf und ab schritt. „Wiederholt es vor aller Ohren!“
Graf Adolf nickte resigniert. „Ich verlangte, mit Niklot zu sprechen“, wandte er sich an die Runde, „der, wie Ihr wisst, einst durch einen Friedenspakt mit mir verbunden war. Doch man verweigerte mir dies mit der Begründung, der Fürst sehe unsere Freundschaft als gebrochen an. Stattdessen schickte er einen seiner Söhne auf die Zinnen, Wartislav mit Namen.“
„Habt Ihr ihm unsere Forderungen unterbreitet?“, fragte Konrad von Zähringen.
„Ja, in genau den Worten, die mir aufgetragen waren“, antwortete Graf Adolf. „Ich bot ihm Frieden und Schonung für Land und Leben unter zwei Bedingungen: zum Ersten, wenn er mit seinem gesamten Volk die Taufe empfange und den wahren Glauben annehme, und zum Zweiten, wenn er sich Herzog Heinrich unterwerfen und seine Herrschaft über dieses Land anerkennen wolle.“
„Was hat er geantwortet?“, fragte Konrad.
„Er sagte“, Graf Adolf räusperte sich verlegen, „dass sein Vater weder den Gott noch den Fürsten der Sachsen anerkennen werde, solange nicht auch Fische und Vögel dies tun. Erst wenn die Fische an Land springen, um das Kreuz anzubeten, und wenn die Vögel auf Befehl des Herzogs vom Himmel fallen, wolle auch er sich fügen.“
Erneut tuschelten die Umstehenden, während Herzog Heinrich mühsam versuchte, seinen Zorn zu beherrschen.
„Ich will den Kopf dieses unverschämten Jungen auf einer Lanze sehen“, murmelte er, „und den seines Vaters dazu!“
„Also müssen wir die Burg einnehmen“, sagte Konrad. „Können wir sie nicht einfach niederbrennen? Schließlich ist sie aus Holz erbaut.“
Graf Adolf schüttelte den Kopf. „Niklot hat sie erst in diesem Frühjahr bauen lassen. Das Holz ist noch frisch und feucht; außerdem hat es tagelang geregnet.“
Konrad nickte. „Dann müssen wir sie stürmen. Warten wir auf die Dänen, oder schlagen wir sofort zu?“
„Wir warten nicht“, sagte der Herzog entschlossen. „Es kann Wochen dauern, bis die Dänen zu uns stoßen, denn sie wollen an einer Meeresbucht im Norden landen, und dann müssen sie erst einmal hierherfinden – vorausgesetzt, sie haben ihre Streitigkeiten beigelegt und kommen überhaupt. Gleich morgen früh lasse ich zum Sturmangriff blasen.“
„Schon morgen?“, fragte Poppo von Blankenburg erschrocken. „Aber wir haben weder Belagerungstürme noch andere Maschinen, und es wird einige Zeit dauern, sie zu bauen.“
„Fürs Erste müssen Leitern genügen“, beschied der Herzog knapp. „Weist die Kriegsknechte an, südlich des Sees Bäume zu fällen und so viele Leitern zu zimmern, wie innerhalb eines Tages möglich ist. Ich will keine Zeit verlieren. Morgen bei Sonnenaufgang wird gestürmt.“
Er wandte sich brüsk um, verließ die Runde und schritt in Richtung seines Zelts davon. Die Versammelten standen noch eine Weile da und erörterten den Befehl mit respektvoll gesenkten Stimmen; dann zerstreuten sie sich. Viele wirkten besorgt, und insbesondere Graf Adolf sah niedergeschlagen aus.
Auch Hartmann und ich gingen fort, um unseren Lagerplatz aufzusuchen. Zum Glück hatten wir uns eine Buche mit breitem Blätterdach gesichert, denn noch immer fiel ein leichter Nieselregen.
„Werden wir beim morgigen Angriff mitkämpfen müssen?“, fragte ich meinen Herrn, denn dieser Gedanke beschäftigte mich sehr. Jedes Mal, wenn ich zur Burg hinübersah, erschien sie mir wie ein riesenhaftes Ungeheuer mit hölzernen Knochen und lehmfarbenem Fleisch. Die Vorstellung, die fünfzehn Ellen hohen Wälle zu erklimmen und dabei vom Feind mit Pfeilen überschüttet zu werden, ängstigte mich mehr, als ich zugegeben hätte.
Doch Hartmann winkte ab. „Keine Sorge. Ein Sturmangriff kostet viele Leben, und der Herzog hat kaum siebenhundert Ritter und kann es sich nicht leisten, auch nur fünfzig zu verlieren. Er wird das Fußvolk schicken – wenn er nicht ganz und gar
Weitere Kostenlose Bücher