Die Tränen der Vila
verschwiegen.“
„Was willst du, Herbort?“, fragte ich, ohne verhindern zu können, dass meine Stimme zitterte.
„Was ich will?“ Er lachte leise. „Lass mich überlegen: Hattest du mir nicht drei Pfennige versprochen?“
„Gar nichts habe ich dir versprochen!“, fuhr ich heftig auf, so dass Hartmann im Schlaf grunzte.
„Nur zu“, zischte Herbort grinsend, „weck ihn auf! Dann kannst du ihm gleich erklären, woher du mich kennst und warum du dir einen Adelsnamen zugelegt hast.“
„Das war nicht meine Idee, sondern seine!“, verteidigte ich mich unbedacht.
„Soso!“, flüsterte Herbort belustigt. „Dein Ritter ist also ein Betrüger! Die Männer dort drüben werden es sehr interessant finden, dass sie einem solchen Anführer gehorchen sollen.“
Ich begriff, dass er mich in der Hand hatte: Hartmann würde mir nicht verzeihen, wenn ich seinen Schwindel offenbarte und sein Ansehen bei den Leuten untergrub. Ich schämte mich vor mir selbst, da ich ernsthaft begann, Herborts Forderung zu erwägen.
„Nur die drei Pfennige? Wirst du mich dann in Ruhe lassen?“
Er kicherte boshaft. „Wir werden sehen.“
„Was soll das heißen?“
„Nun ja, wie es scheint, nimmt dein Herr gern arme Bauernburschen als Diener an“, sprach Herbort genüsslich. „Solch eine Stellung könnte auch mir zusagen. Vielleicht wäre er glücklich, einen zweiten Knappen zu haben, da dies sein Gefolge vermehrt und er offenbar so sehr um sein Ansehen besorgt ist. Gewiss kannst du mich ihm empfehlen, mein alter Freund.“
Nie und nimmer, schwor ich mir im Stillen.
„Hör zu“, suchte ich verzweifelt nach einer Ausflucht. „Ich gebe dir fünf Pfennige – gleich jetzt, wenn du versprichst, mich fortan nicht mehr zu behelligen.“
Herbort kniff die Augen zusammen. „Gleich jetzt?“
Ich nickte ergeben.
„Also gut.“ Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
Nun war es so weit: Die Angst hatte über meine Treue gesiegt, und nun musste ich tun, was ich so leichtfertig versprochen hatte. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, als ich an Hartmanns Lager kroch und zögernd die Hand nach dem Beutel ausstreckte, der an seinem Gürtel hing.
„Nur nicht so zaghaft“, wisperte Herbort hinter meinem Rücken. „Du hast doch das Diebshandwerk gelernt!“
Ich zog an der Lederschnur, die den Beutel verschloss, doch meine zittrige Hand glitt ab und streifte den Oberschenkel des Schläfers. Hartmann stöhnte, wälzte sich auf den Rücken und öffnete die Augen. Ich saß wie versteinert an seiner Seite, die Hand noch immer ausgestreckt – während ein Knistern hinter mir verriet, dass Herbort blitzschnell das Weite gesucht hatte.
„Odo!“ Hartmann blinzelte. „Ist es schon Zeit?“
Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass nichts geschehen war: Herbort war fort, das Silbergeld steckte nach wie vor in Hartmanns Beutel, und er selbst musste glauben, dass ich ihn eben wachgerüttelt hatte.
„Alles in Ordnung?“, fragte mein Herr, als ich keine Antwort gab.
Ich nickte und wandte mich ab, damit er die Anspannung auf meinem Gesicht nicht sehen konnte. „Ich sollte Euch doch wecken, Herr.“
„Ja, gewiss“, sagte Hartmann. „Wir müssen weiterziehen. Kümmere dich um die Pferde.“
Wie am Morgen ritt ich mit Hartmann an der Spitze der Truppe, gefolgt von dem Freibauern Ordulf und seinen Söhnen. Diesen freilich hatte sich nun ein Vierter beigesellt – kein anderer als Herbort, der mit einem zufriedenen Lächeln neben ihnen einherschritt. Hartmann wunderte sich über diese eigenmächtige Aufstockung seiner Hilfstruppe und stellte Ordulf zur Rede.
„Ich habe mir gestattet, Herr“, sagte der Freibauer, „diesen tüchtigen Mann zu meinem Helfer zu wählen. Er ging während unserer Rast allein auf Jagd und fing mit bloßen Händen einen Hasen. Statt jedoch seine Beute zu behalten, brachte er sie zu mir, um die Verteilung des Fleisches meinem Gutdünken zu überlassen.“
Hartmann hob erstaunt die Augenbrauen und wandte sich im Sattel um, um Herbort ins Gesicht zu sehen.
„Ein braver Mann, fürwahr“, sagte er. „Wer bist du?“
„Mein Name ist Herbort, Herr“, sagte dieser – mit einer so geschmeidigen und dienstfertigen Stimme, wie ich sie noch nie bei ihm gehört hatte. „Ein armer, doch ehrlicher Schäfer aus der Lüneburger Heide.“
„Nun“, meinte Hartmann arglos, „wer mit bloßen Händen einen Hasen fängt, könnte uns noch in mancherlei Hinsicht von Nutzen sein.
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