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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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Ordulf, sorge dafür, dass er gut verpflegt wird!“
    Ordulf neigte den Kopf, und Herbort lächelte zufrieden – allein mir lief es kalt über den Rücken. Offenbar war es meinem Widersacher gelungen, auch ohne meine Hilfe Hartmanns Gunst zu erringen.
    Schweigend zogen wir weiter durch den Wald, bis wir auf eine Wegkreuzung stießen. Erneut wählte Hartmann die linke Abzweigung, zweifellos ohne jegliche Ahnung, welches Schicksal er damit heraufbeschwor. Nach einiger Zeit ertönte plötzlich ein schriller Pfiff, vielleicht der Laut eines Waldvogels, doch ähnlich dem Geräusch jener Knochenpfeifen, mit denen manche Bauern in meiner Heimat ihre Hunde riefen. Die Männer wurden augenblicklich still und lauschten, und auch Hartmann richtete sich im Sattel auf, die Hand am Griff seines Schwertes.
    „Weiter voran, aber haltet Ausschau!“
    Der Weg beschrieb eine Kurve und wurde breiter. Nahebei zur Linken plätscherte ein Bach. Dann lichteten sich die Bäume zu beiden Seiten.
    „Endlich!“, flüsterte Hartmann mir zu, als eine weite Fläche offenen Landes vor uns auftauchte. In ihrer Mitte lag ein Dorf, dessen Häuser nach Art der Wenden gänzlich aus Holz gezimmert und im Kreis um einen zentralen Platz angeordnet waren. Auf dem Dorfplatz erhob sich eine einzelne, knorrige Eiche, die von einem Zaun umgeben war. Hinter jedem Haus lag ein weitläufiger Garten mit Obstbäumen, Ställen und anderen Nebengebäuden. Rings um das Dorf verlief ein Gürtel aus Acker- und Weideland.
    Hartmann zog sein Schwert und wandte sich um. „Geht voraus und erkundet die Lage!“, rief er Ordulf und dessen Söhnen zu.
    Diese ließen den Pferdekarren stehen und rannten mit gezückten Waffen auf die Häuser zu. Herbort schloss sich ungefragt an. Wir beobachteten, wie die vier Männer den Dorfplatz erreichten und in die Eingänge der Hütten und Ställe spähten.
    Dann plötzlich schallte das Quieken eines verängstigten Schweins zu uns herüber, und dieses Geräusch machte jeder Bemühung um geordnetes Vorgehen ein Ende. Das gesamte Fußvolk, das unruhig hinter uns gewartet hatte, brach in ein vielstimmiges Geschrei und Gejohle aus. Einzelne Männer stürmten drauflos und zogen die anderen mit sich. „Nehmt alles!“, schrie einer, und „Gott will es!“, ein anderer, während sie ihre Äxte, Dolche und Holzprügel reckten.
    „Wartet!“, rief Hartmann, doch die Aussicht auf leichte Beute verwandelte die hungrigen Männer in eine Meute von der Unvernunft eines Wolfsrudels, das einen Kadaver wittert.
    „Also gut“, sagte er und packte die Zügel. „Sollen sie ihren Spaß haben – doch nicht ohne uns. Hinterher, sonst schnappen sie uns die besten Beutestücke vor der Nase weg!“
    Wir trieben unsere Pferde an und holten die Plünderer ein, als sie eben den Dorfplatz erreicht hatten. Hartmann sprang aus dem Sattel und verschwand mit gezücktem Schwert im Eingang eines Hauses, das von mehreren Ställen umgeben war. Ich saß gleichfalls ab und wollte ihm folgen, fand mich jedoch in einer Masse schreiender und drängelnder Menschen wieder, die im Eifer des Geschehens weder Rücksichten aufeinander noch auf mich nahmen. Am Ende schloss ich mich aufs Geratewohl zwei Männern an, die eines der kleineren Häuser zum Ziel gewählt hatten.
    Das Innere der Hütte lag im Halbdunkel, denn die einzige Lichtquelle war ein Rauchloch unter dem Giebel. Dennoch konnte ich eine Feuerstelle, einen Kamin und irdene Bänke ausmachen, die sich an den Längswänden hinzogen und mit Stroh bedeckt waren. Die Männer durchstöberten bereits jeden Winkel. Einer von ihnen stürzte sich mit Freudengeheul auf einen Ballen gewebten Wollstoffs und raffte die Beute an sich. Sein Kumpan heulte wütend auf und versuchte ihm den Stoff zu entreißen, der nach einer kurzen Rangelei zerriss. Nun schrien beide und gingen mit den Fäusten aufeinander los, was mich bewog, rasch ins Freie zu flüchten.
    „Schafe! Hier sind Schafe!“, schrie eine Stimme hinter dem Haus, und dieser Ruf lockte sogleich eine ganze Handvoll Plünderer in den rückwärtigen Teil des Gartens. Ich folgte ihnen und entdeckte einen hölzernen Pferch, der in der Tat einige Schafe und zwei kleinwüchsige Ziegen beherbergte. Die Männer warfen sich ungestüm auf den Verschlag, rissen mit bloßen Händen Bretter und Weidengeflecht auseinander und stürzten sich auf die verängstigten Tiere, um ihnen die Kehlen durchzuschneiden.
    Der Aufruhr hatte inzwischen den größten Teil unserer Truppe zum Haus gelockt,

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