Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
Vom Netzwerk:
Manchmal bekommt er nichts davon, manchmal alles auf einmal; manchmal mit dem Segen der Kirche, manchmal ohne ihn. Und manchmal kann man sich nicht einmal sicher sein. Ich habe Schlachten erlebt, in denen auf beiden Seiten Bischöfe standen, und der eine wie der andere erteilte seinen Truppen die Absolution. Wer könnte entscheiden, auf wessen Seite Gott ist?“
    „Fürchtet Ihr keine Vergeltung für Eure Taten?“, flüsterte ich.
    „Du meinst, in der jenseitigen Welt?“ Hartmann seufzte. „Mein lieber Odo, es ist der Beruf eines Edlen, Kriege zu führen, so wie es der Beruf des Bauern ist, den Acker zu bestellen. Und wer Krieg führt, an dessen Händen klebt Blut. Wenn aber blutige Hände dem Eintritt ins Paradies entgegenstünden, dann müsste Gott jeden Ritter, jeden Grafen, jeden Herzog und sogar Bischöfe und Päpste samt und sonders in die Hölle schicken. Kurz: Er wäre recht einsam in seinem Himmel.“
    Ich schwieg erbittert, wenngleich ich nicht umhin konnte, einen gewissen Wahrheitsgehalt seiner Worte anzuerkennen. Doch mir ging es nicht um Ritter und Fürsten, nicht einmal um das Kreuz und den wahren Glauben – was mich beschäftigte, war die Narbe auf seinem Gesäß, das Schicksal eines kleinen Dorfes bei Blankenburg und der Tod meines Vaters vor nahezu zehn Jahren. Ich musste herausfinden, ob ein Hirngespinst meinen Geist verdunkelt hatte oder ob der Verdacht zutraf, der mich peinigte.
    „Darf ich Euch etwas fragen, Herr?“
    Hartmann blickte mich von der Seite an, offenbar erstaunt über meine steife Redeweise. „Natürlich.“
    „Wem habt Ihr gedient, bevor der Kreuzzug begann?“
    Hartmann zuckte mit den Achseln. „Einem flandrischen Grafen – das habe ich dir doch schon einmal erzählt.“
    „Und davor?“
    „Davor war ich einige Jahre in Bayern im Dienst verschiedener Fürsten.“
    „Und davor?“
    „Worauf willst du hinaus, Odo?“
    „Vor zehn Jahren“, begann ich, „als der Vater Herzog Heinrichs mit dem Markgrafen Albrecht um das Herzogtum Sachsen stritt – wo wart Ihr da?“
    Hartmann musterte mich mit forschend zusammengezogenen Brauen. Endlich klärte sich seine Miene, als glaubte er den Hintersinn meines Interesses zu begreifen.
    „Ach, Odo“, sagte er fast erleichtert, „das also ist es, was dich umtreibt? Gut, du hast mich ertappt: Ja, damals kämpfte ich auf der Seite von Heinrichs Gegnern.“
    Ich schwieg, doch innerlich war es mir, als zöge sich eine Schlinge um mein Herz zusammen.
    „Daran ist nichts Erstaunliches“, erklärte Hartmann unbekümmert. „König Konrad hatte Heinrichs Vater mit dem Bann belegt. Viele traten damals in Albrechts Heer ein, um ihm zur Eroberung des Landes zu verhelfen, das ihm rechtmäßig zugesprochen war. Ich ritt nach Magdeburg und bot Albrecht meine Dienste an, denn ich erwartete, dass er große Güter an seine Getreuen verteilen würde, wenn er Sachsen erst erobert hätte.“ Hartmann seufzte. „Aber daraus wurde nichts. Wie sich herausstellte, hatte ich die Verliererseite gewählt. Heinrichs Anhänger schlugen uns in mehreren Schlachten, drangen in Albrechts Ländereien ein und schleiften seine Burgen. Albrecht musste fliehen und beim König Schutz suchen ... und so musste ich am Ende erkennen, dass ich auf den falschen Mann gesetzt hatte. Wie du weißt, sah dies auch der König ein, beendete den Streit und sprach dem jungen Heinrich das Herzogtum zu.“ Er schwieg einen Moment. „Nun war Heinrich der kommende Mann“, fuhr er schließlich fort. „Und nachdem ich zunächst für andere Herren in Flandern und Bayern gekämpft hatte, beschloss ich, ihm meine Dienste anzubieten. Natürlich weiß er nicht, dass ich einst auf Seiten seines Todfeindes war, und es wäre gewiss nicht ratsam, ihm dies zu eröffnen – doch glaub mir: Wenn er es wüsste, würde es ihn wahrscheinlich nicht einmal kümmern. Fahrende Ritter schließen sich oft wechselnden Herren an, und so kann der Feind von gestern heute der neue Dienstherr sein.“
    „In wessen Dienst habt Ihr die Narbe empfangen?“, fragte ich.
    „Die Narbe?“ Hartmann runzelte die Stirn. „Welche? Ich habe so viele, dass ich sie kaum zählen kann.“ Doch plötzlich lachte er. „Ach so ist das! Hast du dich etwa nicht unterstanden, deinem Herrn auf den nackten Hintern zu starren?“
    „Ich bitte um Vergebung“, sagte ich steif.
    „Diese Narbe hat mir einst ein Bauer mit einer Sense hinterlassen“, sagte Hartmann grinsend. „Irgendwo in einem Dorf bei Blankenburg, wenn ich

Weitere Kostenlose Bücher