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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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Haus und Stall mit einer Fackel in Brand.“
    Ordulf schüttelte ungläubig den Kopf. Hartmann jedoch blickte Herbort erstaunt an, als sei er bereit, diese Möglichkeit zu erwägen.
    „Ein einziger Mann“, murmelte er. „Aber wer ...?“
    „Ein Verräter?“, stieß Ordulfs Sohn Theutbert hervor. „Einer von uns?“
    „Nein, wir waren vollzählig“, versetzte sein Vater. „Keiner fehlte, als das Feuer ausbrach; alle waren im Haus, mit Ausnahme des Ritters und seines Knappen.“
    Wie auf ein Kommando drehten sämtliche Männer die Köpfe zu mir.
    „Der Junge!“, schrie einer der Überlebenden und deutete auf mich. „Er war es, der gestern abseits stand und das Mädchen entkommen ließ! Er ist ein Heidenfreund!“
    „Schweig!“, herrschte Hartmann ihn an. „Du redest irre! Odo hat mit mir zusammen im Stall übernachtet, und er war der Erste, der das Feuer bemerkt hat – ohne ihn wären manche von euch nicht mehr am Leben.“
    „Aha!“, schrie der Mann, offenbar keineswegs eingeschüchtert. „Er hat das Feuer als Erster bemerkt, ja? Das allein ist höchst verdächtig!“
    „Er war es nicht!“, sagte Hartmann laut, trat auf den Mann zu und legte eine Hand an den Griff seines Schwertes. „Ich verbürge mich für Odo. Und wer ihn zu Unrecht verdächtigt oder Hand an ihn legt, den werde ich erschlagen – verstanden?“
    Der Mann verstummte und senkte den Kopf, doch seine Augen flackerten drohend zu mir herüber.
    „Wer immer es war, steht womöglich im Bund mit jenen Dämonen, die die Heiden als Götzen verehren“, sagte Ordulf. „Vielleicht ist Zauberei im Spiel.“
    „Oder es ist eine Strafe Gottes!“, schrie plötzlich Theutbert. „Es ist die Strafe für das, was wir getan haben! Wir werden alle sterben ...“ Und er barg das Gesicht in den Händen und schluchzte.
    „Heul nicht so weibisch, Sohn!“, schimpfte Ordulf. „Wir sind Kreuzfahrer! Gott ist mit uns!“
    „Hat etwa Gott das getan?“, fuhr sein Sohn auf und deutete zu der Eiche hinüber, an der noch immer die beiden toten Wenden hingen. „War Gott mit dir, als du das Wendenweib geschändet hast?“
    Ordulfs Gesicht wurde puterrot. Überraschend holte er aus und versetzte seinem Sohn einen solchen Faustschlag, dass dieser gegen den Zaun geschleudert wurde.
    „Schluss damit!“, sagte Hartmann. „Diese Streitereien führen zu nichts. Statt uns gegenseitig zu beschuldigen, sollten wir aufbrechen und retten, was zu retten ist. Leert die Vorratsgrube und verteilt das Gepäck!“
    Damit war die Beratung beendet, und Ordulf und Herbort machten sich auf den Weg, um die Vorräte aus der Erdgrube zu holen. Da wir einiges davon zu unserer eigenen Verpflegung benötigten, würde wenig genug übrig bleiben, das wir unserem Auftrag gemäß ins Heerlager zurückbringen konnten. Hartmann jedoch war entschlossen, so viel wie möglich zu retten, und wies die Männer an, aus Bruchholz und Stoffbahnen eine Trage zu bauen, auf der einige Getreidekörbe und der Kadaver eines Schafsbocks Platz fanden. Die übrigen Tiere wurden grob zerteilt, in Säcke gesteckt und den kräftigsten Männern zum Tragen aufgeladen. Ordulf, bei weitem der stärkste, schulterte kurzerhand das Schwein an den Hinterläufen. Ich selbst erhielt einen leichten Sack, der ein halbes Dutzend tote Hühner enthielt. Hartmann, schwer genug an seiner Rüstung tragend, die wir aus den Trümmern des niedergebrannten Stalls geborgen hatten, verzichtete auf Gepäck.
    So brachen wir gegen Mittag auf und kehrten dem Dorf den Rücken, das uns auf so schauerliche Weise zum Verhängnis geworden war. Leblos blieb es zurück, ein Kreis aus leerstehenden Hütten, in deren Mitte die große Eiche mit den toten Leibern der beiden Wenden wie ein Mahnmal aufragte. Es verschwand aus meinem Blick, als wir in den Schatten des Waldes eintauchten.

Wie wir uns im Moor verirrten
    Wir zogen in einfacher Reihe dahin, Hartmann und ich voraus, gefolgt von Ordulf, seinem Sohn und zwei Männern mit der Trage. Dahinter folgten die übrigen, viele von ihnen schlurfend, humpelnd und noch immer hustend. Hartmann war wachsam, hatte sein Schwert gezogen und blickte nach beiden Seiten aufmerksam in den Wald.
    Nach einer halben Stunde erreichten wir die Wegkreuzung, an der wir abbiegen mussten, um den Rückweg zum Lager zu beschreiten. Wie sich jedoch herausstellte, liefen an der Abzweigung zwei Wege in spitzem Winkel zusammen, was wir auf dem Hinweg gar nicht bemerkt hatten. Hartmann ließ halten und wandte sich mir

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