Die Traenen Des Drachen
die Pferde war eingerissen worden. Nur die Schlittenspuren nach Osten verrieten, wohin die Kretter verschwunden waren. Sogar die Leichen, die nach dem letzten Kampf zurückgeblieben waren, waren verschwunden. Das Einzige, was ich weit entfernt auf einer Anhöhe sah, war etwas, das aussah wie ein Vokker, der etwas über der Schulter zu tragen schien. Dann haben die Riesen doch noch ihren Teil von den Krettern bekommen, dachte ich.
Wie lange saß ich da, Freunde? Wie lange starrte ich, meine Krallenfinger im Schoß vor mir, über die Ebene? Ich empfand eine Ruhe, ein Gefühl wie mit hoch erhobenem Haupt verloren zu haben. Der Kampf war vorüber. Jetzt konnte ich ausruhen.
Ich weiß noch, dass es zu schneien begann. Ich weiß noch, dass ich fror, doch dass ich mich nicht zu bewegen vermochte. Als die Sonne hinter den Bergen verschwand, spürte ich, dass jemand meine Schulter berührte, und ich sah Kirgits Hand in der meinen. Sie sagte nichts. Sie hielt mich einfach in ihren Armen und wärmte mich. Wie gerne hätte ich ihr gesagt, dass es mir Leid tat, dass ich sie im Stall derart angefahren hatte, doch nicht einmal meine Zunge konnte ich bewegen. Als wäre ich unter dem ewig währenden Winter bereits zu Eis gefroren.
Als der Vollmond aufging, kamen die Waldgeister zu uns hoch. Sie stellten sich neben die Bank und starrten zu den Sternen hinauf.
»Die letzte Nacht«, sagte Loke. »Morgen trennen sich unsere Wege.«
»Der Gamle tut mir Leid«, klagte Vile.
Die Antwort, die Loke ihm gab, klang wie die Strophen eines Liedes.
»Mut… Hoffnung… Was sind wir ohne all das? Was ist das Leben wert, wenn wir nicht mehr glauben können?«
Da stand ich auf, und meine Wunden schmerzten nicht mehr. Meine Arme streckten sich zur Seite, und meine Beine klammerten sich an der Kante zum Abgrund fest. Ich weiß nicht warum, Freunde. Ich kann euch nicht sagen, warum ich tat, was ich tat. Der Schrei quoll aus meinem Hals, ich schlug mit den Armen, krümmte den Rücken und war kein Mensch mehr. Drehte den Kopf hin und her, während meine Schreie zum Himmel emporstiegen.
Und er kam zu mir. Mein Zwillingsbruder, der Rabe. Er tauchte aus der Nacht auf und antwortete mir.
»Karain, Freunde.«
Er landete auf meinem Arm.
»Ich bin gekommen, dir zu helfen. Gib mir die Wurzel, und ich werde mit ihr nach Erste Schneeflocke fliegen.«
Ich drehte mich zur Seite. Loke durchsuchte Biles Taschen. Er kramte Pilzbröckchen, Zapfen und Schnüre heraus, ehe er die Wurzel in seiner Hosentasche fand.
»Hier.« Er reichte sie mir, und ich gab sie dem Raben.
»Sei bei deinem Volk«, sagte er. Dann flog er von meinem Arm auf.
»Dreimal werde ich dir helfen.« Er flog nach Norden und verschwand unter den Sternen. Es war, als spräche die Nacht selbst zu uns. »Das war das zweite Mal. Einmal noch wirst du mich sehen.«
Wortlos standen wir da und starrten den Mond an. Kirgit umklammerte meine Krallen, und die Waldgeister warteten mit uns. Wir sahen den Mond über das Rund des Himmels ziehen. Wir sahen, wie sich die Sterne drehten und wie die Nacht zum Tag wurde. Und als der vierte Wintervollmond erlosch, strich warmer Wind über unsere Gesichter.
Abschied
A ls die Sonne hoch am Himmel stand, waren die Waldgeister abmarschbereit. Sie hatten Verpflegung in ihre Decken gerollt und neue Skier und Speere bekommen.
Kirgit sah mir nach, als ich neben ihnen her zum Tor hinkte. Sie hatte noch immer Angst, ich könne fortgehen.
»Du bleibst am besten bei ihr«, sagte Loke, während der Schnee unter seinen Skiern knirschte. Er sah mich an und wusste, dass ich ihm keine Antwort geben würde.
Die Waldgeister stützten mich, als wir über die Steine kletterten, die noch immer vor dem Tor lagen, und zeigten mir, wo ich mich mit dem Speerschaft abstützen konnte, um nicht zu fallen. Als wir unter den verbrannten Resten von Holzplanken und eisernen Beschlägen hindurchgingen, tropfte das Schmelzwasser vom Absatz über uns auf uns herab.
Ein Stück des Weges gingen wir zusammen nach unten. Die Waldgeister bremsten mit ihren Speeren, sodass ich mit ihnen Schritt halten konnte. Doch dort, wo die Felsenbrücke in die Ebene überging, nahmen wir Abschied.
»Du bist der beste Hässling, den ich jemals kennen gelernt habe«, sagte Vile und klopfte mir auf den Ärmel meiner Jacke.
Bile löste einen Zapfen von seiner Kette.
»Das ist der Schönste, den ich hab.« Er steckte ihn in meine Hosentasche. »Denk an uns, wenn du ihn ansiehst. Jedes Jahr,
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