Die Traenen Des Drachen
Gesichter der Baumstämme wurden deutlicher. Sie waren wie grausame Teufel, festgefroren auf der Rinde, mit höhnischem Grinsen und schiefen Augen.
Seine Füße waren kalt, und er zog sie unter seinen Umhang, während einzelne Schneeflocken wie weiße Sterne zwischen den Ästen herabrieselten. Der Böttcher öffnete den Rucksack und zog einen Umhang heraus; es war genau so eine Seemannskutte, wie sie sich Karain zur letzten Sonnenwende gewünscht hatte. Sein Vater zog ein paar Handschuhe aus einer der Taschen und half Karain, sie anzuziehen. Sie waren ganz neu. Karain dachte, dass seine Mutter sie genäht haben musste, denn sie hatten nur drei Finger. Zum Schluss gab der Böttcher seinem Sohn den dicken Lodenschal, den er selbst um den Hals trug, und das Beutelchen mit Feuerstein und Zunder, das immer an seinem Gürtel hing.
»Jetzt siehst du aus wie ein Krieger«, sagte er und streichelte ihm über die Haare. Karain ergriff seine Hände und hielt sie zwischen den seinen fest.
Er musste eingeschlafen sein, denn als er erwachte, war er allein. Er lag zusammengerollt unter seiner Kutte, und neben ihm stand sein Rucksack. Das Schwert, der Bogen und der Pfeilköcher lehnten an einem Baumstamm.
Karain nahm die Kutte, rollte sie zusammen und befestigte sie auf dem Rucksack. Es gelang ihm nicht sogleich, denn die Riemen waren festgefroren und für seine Krallenfinger viel zu dünn. Aber er nahm seinen Mund zu Hilfe, wie er es in der Werkstatt gelernt hatte, und befestigte dann das Schwert an seinem Gürtel. Den Bogen nahm er in die eine Hand und hängte sich dann den Köcher mit den Pfeilen über die Schulter. Als er bereit war, stand er einen Augenblick ganz still da und lauschte. Er konnte das Hämmern aus der Schmiede unten am Hafen hören. Die Hunde auf dem Nordhof bellten. Dann drehte er sich um und ging weiter in den Wald hinein.
Welche Gedanken gingen Karain an diesem Tag durch den Kopf? Er war zum ersten Mal in seinem Leben allein. Sein Vater hatte ihn in den Westwald geführt und ihn verlassen und ihn damit einem Schicksal übergeben, an das er nicht einmal zu denken wagte. Hier gab es Trolle und Bären und Jäger, die Menschen fraßen. Die Alten erzählten von Bäumen, die den Geist verstorbener Wanderer durch ihre Wurzeln aufgenommen hatten und die verlorenen Seelen für immer festhielten. Während er zwischen den Stämmen hindurchging, schienen die Rindengesichter sein Spiegelbild anzunehmen. Er blickte auf seine verkrüppelten Finger hinab, die den Bogen umklammerten. So sah kein Mensch aus, dachte er. Und sein Gesichter fuhr sich mit seiner anderen Krallenhand über die Oberlippe, wo sich die Scharte bis zur Nase hochzog –, das war nicht das Gesicht eines Menschen.
Bei diesem Gedanken blieb er stehen und drehte sich zur Stadt um. Vielleicht hatten sie Recht. Vielleicht war er wirklich ein Dämon, ein hässlicher, verkrüppelter Teufel. Vielleicht hatte sein Vater ihn deshalb mit hierher genommen, in den Wald der bösen Geister. Karain rückte den Rucksack zurecht und senkte den Kopf; er wollte weitergehen. Nie zuvor war er so einsam gewesen. Es schmerzte in seiner Brust. Doch für ihn gab es keinen Weg zurück. Ging er wieder nach Hause, würde der Muru Mutter und Vater und sicher auch seine Geschwister töten.
Karain wusste es selbst nicht, doch der Weg, den er einschlug, führte in eine Schlucht. Unbeabsichtigt hatte er den leichtesten Weg durch den Wald gewählt, und da die Bäume am besten auf den Anhöhen wuchsen, führte Karains Weg immer weiter nach Südwesten in die Schluchtstrecke, die sich einen Tagesmarsch weit erstreckte. Der Wald war so dicht, dass beinahe kein Schnee auf den Boden mit seinen knotigen, verschlungenen Wurzeln und den festgefrorenen Blättern gefallen war. Aber Karain war nicht besonders groß und gelenkig genug, um sich einen Weg durch das Dickicht und die Wurzelfallen zu bahnen. Bald war er unten in der Schlucht, wo sich ein Wildwechsel an den verwelkten Farnkrautbüscheln entlangschlängelte. An beiden Seiten erkannte er die senkrechten Felswände, an deren Oberkanten sich die Bäume mit ihren riesigen, regenwurmgleichen Wurzeln festklammerten.
Er wusste nicht, wie lange er schon am Boden der Schlucht entlanggelaufen war, als er plötzlich bemerkte, dass die Schatten um ihn herum das Dunkel der Nacht angenommen hatten und die Vögel, die den ganzen Tag über in den Baumwipfeln gezwitschert hatten, verstummt waren. Jetzt waren andere Tiere zu hören. Irgendwo
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