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Die Traenen Des Drachen

Titel: Die Traenen Des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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im Westen hörte er ein scharfes, schallendes Lachen, und hinter ihm raschelte etwas im Laub. Karain fand unter einem Felsvorsprung Schutz. Dort schob er seine Kappe in den Nacken und band sich seinen Schal um die Hüften. Er ließ den Umhang von seinen Schultern gleiten und öffnete den obersten Knopf seiner Jacke, denn durch das Wandern war ihm warm geworden. Seine Mutter hatte Muster auf die Ärmel und rund um die Knopflöcher gestickt, das konnte er jetzt erkennen. Der goldene Faden leuchtete ihm aus dem Lodengrau entgegen. Hatte sie ihm auch einen guten Segen für seine Reise in die Hose gestickt? Er schob die Jackenschöße beiseite und den einen Fuß über sein Knie. Der Goldfaden zog sich in Bordüren über die Naht bis hinunter zu den hirschledernen Stiefeln, die vor Öl stanken. Vater hat sie richtig getränkt, damit ich keine nassen Füße bekomme, dachte er und zog die Decke aus seinem Rucksack. Unter ihr lag ein Schlauch mit Wasser und darunter ein Leinenbeutel und ein Paar lederne Gamaschen. Er schlang die Decke um sich und trank einen Schluck Wasser, bevor er den Beutel öffnete. Der Duft von getrockneten Äpfeln und gesalzenem Fleisch kitzelte seine Nase. Etwas Besseres kannte er nicht! Er nahm ein Stückchen der gewürzten Tuur-Äpfel. Zu Hause bekam er getrocknetes Obst nur an Neumond, dem Tag, an dem die Handwerker nicht arbeiten müssen.
    Zu Hause… Er fragte sich, was sie dort jetzt wohl taten. Ob sie ihn sehr vermissten? Er spürte, wie sich die Schmerzen wieder in seiner Brust einnisteten. Die Kälte der Nacht wurde noch bitterer, und die Geräusche um ihn herum kamen näher. Was bewegte sich dort oben auf der Böschung? War das ein Schatten dort zwischen den Bäumen? Ein Heulen erklang aus dem Norden, und der Schatten fiel in sich zusammen. Karain stand mit der Decke über den Schultern auf und trat auf den Wildwechsel. Direkt über ihm öffnete sich das schneebedeckte Dach der Äste zum Himmel. Wind war aufgekommen, und die hin und her schwingenden Äste warfen kleine Schneehäufchen auf ihn herab.
    Dann wurden die Wolken am Himmel weggetrieben, und der Mond schien in die Schlucht hinunter. Der Schatten oben auf der Böschung war kein Schatten. Das Geschöpf stand dicht an der Kante und winkte ihm zu. Seine Arme waren lang wie Ruder, und sein moosbewachsener Kopf war so groß wie der Oberkörper eines ausgewachsenen Mannes. Dann öffneten sich die Kiefer des Riesen, gelbe, faulige Zähne kamen zum Vorschein, und ein gurgelnder Laut ertönte.
    Karain fiel das halb zerkaute Apfelstückchen aus dem Mund. Er spürte, wie sich sein Hals zuschnürte. Das Geschöpf hangelte sich an der Felswand herunter. Sein haariger Rücken hatte die Ausmaße eines Ruderboots. Ein Brüllen ließ den Wald erzittern, und das Geschöpf hielt einen Augenblick inne und antwortete. Es klang, als ob hundert verrückt gewordene Hunde gleichzeitig heulten. Das Wesen schloss seinen Ruf mit dem gurgelnden Laut ab und kletterte weiter.
    Karain schnappte sich Bogen und Rucksack und hastete davon. Er stolperte ins Dunkel hinein und hörte das dumpfe Dröhnen, als das Geschöpf auf den Boden der Schlucht hinabsprang. Dann war wieder ein Heulen zu hören, und Karain spürte eine Angst, wie er sie noch nie zuvor verspürt hatte, ein Gefühl von Kälte und Hoffnungslosigkeit, das seine Beine schwer und seine Arme schwach werden ließ. Er wusste nicht, warum, doch irgendetwas brachte ihn dazu zu schreien. Hinter ihm knackten die Zweige unter dem Gewicht des vorpreschenden Geschöpfes.
    Da stieß er mit dem Fuß an etwas Hartes, stolperte durch die Luft und schlug mit dem Gesicht auf dem Boden auf. Er rollte sich zur Seite und tastete mit der Hand nach seinem Schwert. Das gurgelnde Geräusch war dicht hinter ihm. Die Schritte donnerten im Laub.
    Es gelang Karain, seinen Rücken an einem Baumstamm hochzuschieben und das Schwert zu ergreifen. Mit zitternden Händen hielt er die schwere Waffe umklammert. Das Gurgeln wurde zu einem Fauchen, und er wusste, dass sich das Geschöpf bereitmachte, ihn zu töten. Doch da hörte er ein anderes Geräusch, so etwas wie das Stapfen von Füßen.
    »Fackeln!«, rief eine Stimme, und plötzlich leuchteten um ihn herum vier Fackeln auf.
    »Der ist viel zu groß!«, piepste es von einer der Fackeln, die sich zurückzuziehen begann. »Hasenfuß!«, erwiderte die erste Stimme. »Bul! Den Speer… jetzt!«
    In diesem Moment schossen zwei Fackeln nach vorn. Das Fauchen wurde zu einem Brüllen, und Karain

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