Die Traenen Des Drachen
davon erfuhr. Dann würden weder seine Frau noch seine Kinder leben, wenn er zurückkehrte. Sie sahen ein, dass Karain alleine fortreisen musste, und dachten genau nach. Auf der Ebene im Norden und im Osten tobte der Krieg zwischen den Fonorern und den Vonern. Nicht für alles Gold, das sie besaßen, würden sie einen Karawanenführer überreden können, diesen Weg einzuschlagen. Die Schiffe waren bereits fortgesegelt, und wenn nur die Hälfte von dem, was sie hörten, stimmte, war die Furcht vor den Dämonen in den Städten entlang der Ostküste nur noch größer. Der einzige Ort, in den sie ihn schicken konnten, lag im Westen, der Westwald. Es war der Böttcher, der das aussprach, und kaum war der Name dieses düsteren Ortes gefallen, brach Karains Mutter in Tränen aus. Denn der Westwald war bei den Kruginern ebenso gefürchtet wie bei euch. Waldteufel, Erdriesen, all diese fürchterlichen Wesen lebten dort unter den verwachsenen Bäumen. Und weil sich kein Kruginer in den Westwald hineinwagte, war dies der einzige Ort, an den sie Karain schicken konnten. Nach diesem Gespräch ging der Böttcher zum Waffenschmied, legte all seine Goldmünzen auf den Tisch und kaufte ein Schwert, einen guten Bogen, Pfeile und einen Köcher. Er packte einen Rucksack mit Kleidern, Decken und Essen, und seine Frau nähte einen warmen Umhang.
An diesem Abend hörte Karain wie jeden Abend das Knirschen der Scharniere der Kellerfalltür. Er hatte fast den ganzen Tag verschlafen, und als ihm sein Vater die Hand entgegenstreckte und ihm hochhalf, erwartete er, den warmen Duft des Haferbreis zu riechen, den seine Mutter in der Regel fertig hatte. Aber es dampfte nicht aus der Schüssel auf dem Tisch. Seine Mutter saß an der Feuerstelle, und weder der Säugling noch seine Brüder waren auf. Vater hängte ihm einen schwarzen Reitumhang um. Als Karain seinen Mund öffnete, um zu fragen, was geschehen sollte, stand seine Mutter auf und kam auf ihn zu.
»Hier ist deine Jacke«, sagte sie und nahm die Winterjacke vom Haken an der Wand. »Und zieh die warme Hose an, die wir letztes Jahr gekauft haben.« Sie half ihm beim Anziehen, bevor sie ihn an sich drückte. »Sei stark«, flüsterte sie und fuhr ihm mit der Hand durchs Haar.
Er spürte, wie sie zitterte, als sie ihn zum letzten Mal an sich drückte. Dann küsste sie ihn auf die Stirn und drehte sich um.
Sein Vater hob den Rucksack auf, der am Kamin lehnte. Dann ging er zum Schlafraum hinüber, zog den Vorhang zur Seite und öffnete die Hintertür.
»Wir müssen jetzt gehen, Karain.« Er ging die Treppe hinunter, und Karain folgte ihm.
Sie umrundeten die Werkstatt und rannten über die alte Koppel. Karain drehte sich ein letztes Mal um und sah seine Mutter winken, und er wusste, dass sie ihm mit ihren Tränen Glück wünschte.
Die Wanderung in dieser Nacht war ein besonderes Erlebnis für Karain. Nach Monaten, während derer er im Haus eingesperrt gewesen war, war er nun endlich wieder draußen, und die Freude, die er verspürte, überdeckte alles andere. Er folgte seinem Vater über die schneebedeckten Äcker und spürte die frische Luft im Hals. Der Nachtwind fuhr ihm durchs Haar und brachte den Geruch des Salzwassers mit. Er hörte das Klatschen der Welle an der Mole und das Klackern der Seile an den Masten. Erst als der Himmel verschwand und sich die Dunkelheit über sie senkte, spürte er, dass etwas nicht stimmte.
»Komm«, rief sein Vater und drehte sich, fast unsichtbar in seinem Umhang, zu ihm um. Karain sah ihn an und bekam es mit der Angst zu tun, denn sie waren in den Wald gegangen, den Ort, über den er so viele schreckliche Geschichten gehört hatte. Unmittelbar über seinem Kopf flochten sich die Äste der Bäume ineinander, und von überall her starrten ihn die Bäume mit ihren verunstalteten Gesichtern auf den moosbewachsenen Rinden an. Die Nacht war hier finsterer, und er hatte den Eindruck, als würden Ratten um seine Füße herumhuschen. Die Baumstämme raunten ihm böse Worte zu, und er vermochte sich nicht gegen seine Tränen zu wehren. Aber der Böttcher zog ihn an sich und tröstete ihn.
»Sei jetzt stark, Karain. Du darfst nicht…«
Nie zuvor hatte Karain seinen Vater so traurig erlebt.
»Weine nicht«, sagte er. »Ich bin bei dir.«
Sie gingen nicht weiter. An einem Stamm hockten sie sich hin und warteten. Sie sahen niemanden, aber Karain spürte Vaters Fäuste auf seinen Schultern. Mit der Zeit gewöhnte er sich an das Dunkel, und die
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