Die Traenen Des Drachen
Waffen.
Sie alle waren mächtig. Doch ich sage dir: Sie alle waren nicht mehr als Kinder im Vergleich zu Tarkin. Tarkin war der Lanzenkrieger im Süden. Er war später als die anderen an die Macht gekommen und hatte schließlich bemerkt, dass sie die Welt bereits unter sich aufgeteilt hatten. Tarkin wurde wütend, als er das sah, doch er verbarg seine Wut. Er hockte sich auf ein ödes, ausgebranntes Stück Land und dachte viele Jahre lang nach. Doch schließlich erhob er sich mit klaren Gedanken. Er wollte sich ein Gebiet erkämpfen, in dem er über Berge und Meere, Wälder und Ebenen herrschen konnte. Und die Unsterblichen, die so lange in Frieden gelebt hatten, griffen zu den Waffen und versammelten die Menschen zu Heeren.
Während der gewaltigen Kämpfe wurden die Ebenen vernichtet und die Wälder niedergebrannt. Meere ergossen sich über das Land und ließen große Moore entstehen und die Flüsse über die Ufer treten. Berge wurden niedergerissen und Wälle aufgeschichtet, wo es zuvor flach gewesen war. So entstand die Welt. Die Wälle sind heute Hügel und Gebirge. Verbrannte Wälder sind wogende Steppen, und die toten Männer sind zu Mooren verfault, ihr Blut strömt in den Flüssen.«
Ich drehte das Leder um. Die Zeichen gingen auf der anderen Seite weiter, doch die Schrift war hier nicht mehr so deutlich. Ich hob das Pergament in das Licht, das von der Feuerstelle herüberschien, und las weiter.
»Niemand weiß, wer gewann, verwandte Seele. Doch die Menschen erinnerten sich an die großen Kriege, in denen sie einmal alles gegeben hatten, und jedes Volk betete seinen eigenen Führer an.
Tarkin ist der Gott aller Völker im Süden. Sei gewiss, er ist der Anführer von zwölf gottgewordenen Heerführern, deren Namen so viel Böses beinhalten. Ich schwöre bei meinen Ahnen: Krim ist einer von ihnen.
Die Menschen im Norden erzählen ihren Kindern von Karr. Für sie ist er der Vater aller Berge. Er hat sich auch eine Frau genommen, und sie ist die Beschützerin der Häuser. Alte Jäger drohen ihren Feinden mit Ekserk, und viele sind der Meinung, dass er noch manchmal zum Jagen auf die Erde herabkommt. Die Seeleute singen von Berav, dem Mann unter den Wellen. Doch nur wenige erinnern sich an Man, nur ein altes Volk in einem abgelegenen Tal in einem Gebirge im Norden. Das ist das Felsenvolk, und sie sagen, dass Man, als Tarkin seine Macht an Krim abtrat und ihn zum Plündern nach Norden ziehen ließ, auf die Erde zurückkam, um ihn daran zu hindern. Er versammelte alle Drachen, die in den Gebirgen lebten, und sogar Krim musste stehen bleiben, denn gegen eine solche Übermacht vermochte er nicht zu kämpfen. Doch Tarkin sah, was Man tat, und mischte sich selbst in den Kampf gegen ihn und seine Drachen ein. Man wurde lebensgefährlich verletzt und versteckte sich tief im Gebirge, und alle Drachen außer einem einzigen wurden getötet und ihrer juwelenträchtigen Haut beraubt. Kragg aber nahm die Gestalt eines Raben an und flog davon. Hinter lanzenförmigen Felsen, die ihn wie die Mauern einer Burg umgaben, fand er Schutz. Dort ruhte er sich aus.
Kragg ist dein Gott. Er ist der Gott der Hoffnung, dass der Alte und Namenlose, Man, bald wieder zum Vorschein kommt. Du bist Kraggs Abbild hier auf Erden, wie ich es war.«
Ich fasste mir an die Stirn. Wie konnte ich das glauben? Die Worte dachten mir eine Rolle in dieser Spielart der kelsischen Götterlehre zu! Ich hatte nie gehört, dass Man gegen Tarkin gekämpft hatte oder dass einer der Drachen Kragg geheißen hatte, doch jetzt passten plötzlich all die Sagen der Kelsmänner über Drachen, die einmal gelebt hatten, zusammen. Und dort stand noch mehr:
»Das ist die Lehre der Götter, erzählt mit schmerzenden Fingern. Lass mich dir auch erzählen, was deine Aufgabe ist: Wenn du so träumst, wie ich geträumt habe, dann weißt du bereits viel. Träum weiter, verwandte Seele. Fünf Mal hat Kragg durch meine Träume zu mir gesprochen und mir Bilder gezeigt, die dem Felsenvolk weiterhalfen. An der Glut des Feuers und dem Muster des Schmelzwassers auf dem Boden erkenne ich, dass er zu dir nicht so oft sprechen wird. Er wird dich mit dem Felsenvolk wie einen der ihren leben lassen und seine Worte sorgsam hüten. Doch nach vielen Jahren wird er zurückkehren und ein letztes Mal zu dir sprechen. Er wird kommen, wenn du über den Verlust eines geliebten Menschen weinst, und die Botschaft, die er dir geben wird, wird die wichtigste sein, die deinem Volk zugekommen ist,
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