Die Traenen Des Drachen
Antwort bekommen. Denn Kirgit fuhr mit ihrer Hand über meine Federn, fing mich mit ihren Augen ein und küsste mich.
Ihr könnt lachen, Nin und Ekri. Ja, verzieht ruhig eure Schnuten und flattert mit den Armen. Aber wartet nur, bis ihr auf denjenigen trefft, der euch eure Kinder geben wird.
Für mich waren die Tage, die wir in Nojs Hütte verbrachten, gute Tage. Manchmal kam jemand zu Besuch, Männer oder Frauen, die ihre Felle über die Stühle hängten und sich zu uns ans Feuer setzten. Diejenigen, die gemeinsam mit Noj nach Kirgit gesucht hatten, kamen oft, doch manchmal waren auch junge Mädchen zu Besuch, und dann stand Kirgit mit ihnen an dem langen Tisch und tuschelte über heimliche Dinge. Doch die Erwachsenen wollten gerne mit mir sprechen und wissen, woher ich kam und wie meine Reise vonstatten gegangen war. Ich erzählte ihnen alles, was ich wusste. Als sie von der Jagd auf die Dämonen zu Hause in Krugant hörten, schüttelten sie die Köpfe. Die Kruginer mussten ein törichtes Volk sein, meinten sie, wenn sie nicht erkannten, dass ich eine besondere Gabe hatte.
Sie waren neugierig auf die Waldgeister, und Loke nutzte jede Gelegenheit, um sich nach der Roten Runden Wurzel zu erkundigen. Dann stampften sie mit den Füßen auf dem irdenen Boden auf und erklärten uns noch einmal, dass es jetzt im Winter kaum möglich war, eine Wurzel aus dem Boden zu bekommen. Hätten sie es nur früher gewusst, hätten sie einige von den Wurzeln, mit denen sie im Herbst die Pferde fütterten, aufbewahrt. Die einzige rote, runde Wurzel, die sie kannten, war die Wurzel einer Pflanze, die sie Vokkerfuß nannten. Die Pferde mochten sie gerne, und Vokkerfuß wuchs überall auf der Ebene. Sie nickten, als ich erzählte, was geschehen würde, wenn der Gamle die Wurzel nicht rechtzeitig bekam, doch sie waren ein Volk, das nie lange ihren Sorgen nachhing, und so konnten sie im nächsten Augenblick von ihren Stühlen aufstehen und eine Jagdgeschichte erzählen.
Wir hatten lange Gespräche vor der Feuerstelle. Ich lernte das Felsenvolk kennen, ihre Geschichten und Sagen, und nahm wie ein Schwamm alles in mich auf. Aus ihren Worten hörte ich heraus, dass sie schon immer mit den Krettern verfeindet waren, dennoch aber gezwungen waren, dorthin zu reisen, um Tauschgeschäfte zu machen und Korn zu bekommen. Viele Male hatten die Kretter die Felsenburg belagert, denn alle Völker südlich des Meeres glaubten, das Felsenvolk säße hier drinnen auf Bergen von Gold. Jeden Winter zogen die Kretter aus, um ihre Fischerboote zu verbrennen. Deshalb segelten stets einige der Jäger an die Ostküste hinüber, um dort mit den Booten zu überwintern. Noj und die anderen Männer schienen viel Freude daran zu haben, die Kretter so an der Nase herumzuführen, denn sie schlugen sich auf die Schenkel und schrien vor Lachen, während sie nachmachten, wie die verwirrten Kretter herumirrten.
In diesen Tagen dachte ich wenig an den Auftrag, mit dem die Waldgeister ausgesandt worden waren. Für mich durfte der Winter ruhig ewig währen, so lange nur Kirgit bei mir war. Aber dennoch sah ich Loke an, wie ihn das Unwetter bekümmerte. Jeden Morgen schaute er durch die Tür, schüttelte den Kopf und biss sich vor Enttäuschung auf die Unterlippe. Lange konnte er, die Arme auf dem Rücken verschränkt, in der Hütte auf und ab laufen und dabei nicht enden wollende Verse vor sich hinmurmeln. Wenn seine Schüler ihn etwas fragten, konnte er so tun, als höre er sie nicht, oder er antwortete bloß mit einem säuerlichen Brummen. Mit jedem Tag, der verging, wurden die Falten auf seiner Stirn tiefer. Er sprach weniger und weniger mit uns, bis er am neunten Tag zu mir kam. Die Gäste waren gegangen, und plötzlich ließ er sich neben mir auf den Stein vor der Feuerstelle fallen und kratzte sich in den Haaren.
»Karain«, sagte er. »Es sind zehn Tage vergangen, seit der Sturm begonnen hat. Morgen werde ich mit meinen Schülern aufbrechen, um die Wurzel zu finden. Wenn wir doch nur nicht so viel Zeit gebraucht hätten, denn ich weiß nicht, wie wir es nach Hause schaffen sollen, ehe der vierte Vollmond verlischt.«
Er sah auf seine Rindenstiefel hinab. »In so kurzer Zeit schaffen wir es nie durch den ganzen Westwald, aber ich kann nicht aufgeben, ohne es wenigstens versucht zu haben.«
Loke sah mich mit seinen Lachfalten an, doch unter den buschigen Augenbrauen war sein Gesicht müde und von Kummer verzerrt.
»Ich muss dir eine Sache erzählen«, sagte
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