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Die Traenen Des Drachen

Titel: Die Traenen Des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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anderen Völker«, sagte sie und zwinkerte mir zu. Ich glaube, sie verstand, was ich dachte, denn sie blickte zu Noj auf und lächelte, und er erwiderte ihr Lächeln.
    »Wir wohnen näher am Himmel und haben nur wenig Regeln. Wir jagen in den Bergen und leben gut ohne Reichtum. In Krett oder bei Händlern, die hierher kommen, können wir Fleisch gegen Getreide tauschen.«
    »Ich werde nie mehr mit den Krettern handeln.« Noj legte sein ganzes Gewicht in den Mörser. »Da fresse ich lieber Erde.«
    Viani zog Kirgit an sich und streichelte ihr über die Haare.
    »Es heißt, unser Volk sei eines Tages vor der großen Trockenheit hierher gekommen, in den Zeiten vor Krim. Wir wanderten auf der Suche nach einem Land, in dem wir leben konnten, über die südliche Steppe. Nach fünf Sommern ohne Regen bestand die weite Ebene nur mehr aus verbrannten Grasbüscheln, und die Bäche waren zu steinernen Wunden im Boden geworden. Wir kamen zum Fuß des Gebirges und wurden dort von den Vokkern angegriffen. Die Riesen töteten die meisten von unserem Volk, doch dann ließ Kragg eine Felsenbrücke aus dem Boden auftauchen. Sie führte uns in das Tal hinter den Klippen. Hier waren wir sicher und sind es seitdem.«
    Jetzt kam Noj mit getrocknetem Fleisch. Er zog die Brocken von einer Sehne und reichte jedem ein Stück. Als die Waldgeister am Fleisch rochen und sagten, sie wollten lieber nichts, nahm er es einfach zurück. Er war nicht beleidigt, wie es ein Kruginer gewesen wäre, wenn die Gäste sein Essen nicht wollten.
    »Was möchtet ihr haben?« Noj hängte das Fleisch wieder unter die Decke der Hütte und fingerte an ein paar anderen Schnüren herum. »Ich habe Hirschfleisch, getrockneten Aal, den wir im Sommer gefangen haben, Täublinge und Bergäpfel.«
    Ich sah, dass Loke ein ganz verdutztes Gesicht machte. Er leckte sich die Lippen.
    »Ihr habt Täublinge?«, schmatzte er und strich sich seinen Schnurrbart zur Seite.
    Noj teilte die getrockneten Pilze aus, und die Waldgeister wurden leise. Doch Viani war mit ihrer Geschichte noch nicht am Ende.
    »Unsere Vorfahren kletterten zu Kalans Zeiten in die Klippen und hackten Löcher in sie, sodass sie beobachten konnten, was die Vokker und all die anderen, die auf der Ebene lebten, taten. Ihr habt auf dem Weg hierher vielleicht die Wachen dort oben bemerkt? Von den Kalanen aus beobachten wir die Welt. Wir entzünden Fackeln und befestigen sie an der Felswand. Unsere Vorväter fällten auch die letzten Bäume, die hier drinnen wuchsen, und bauten ein Tor in die Öffnung zur Felsbrücke. Aus den Steinen, die überall verstreut lagen, bauten sie die Häuser, in denen wir heute wohnen. Sie setzten sie dicht an die Felswand, damit die Stürme sie nicht einreißen können. Durch Tauschhandel kamen sie später in den Besitz von Tauwerk für Strickleitern, Teer für Fackeln und Bogen und Waffen. So entstand die Felsenburg.«
    »Erzähl von Kragg«, bat ich und hoffte dadurch zu erfahren, warum sie mich Vogelmann nannten.
    »Als wir über die Ebenen wanderten, sprachen die Ältesten oft zu uns. Jeder von ihnen gab sich zu erkennen und forderte uns auf, sein Volk zu sein. Doch nur Kragg hatte die Kraft, die Felsbrücke aus dem Boden zu heben und uns hier hineinzuhelfen. Deshalb wurde er der Gott des Felsenvolkes. Er beschützte uns damals und tut es noch immer. Wenn der Tag vorüber ist, breitet er seine Schwingen aus und deckt die Dunkelheit über uns, wie es der Adler tut, um seine Jungen vor der Sonne zu schützen. Sein Federkleid ist schwarz, doch er trägt Juwelen in seinen Federn. Und diese Juwelen glitzern, wenn er seine Flügel ausbreitet. Manch einer nennt sie Sterne.«
    Viani unterstrich ihre Worte mit den Armen. Sie hatte die Beine verschränkt und zeichnete mit den Händen Flügel, Sterne und das Rund der Erde.
    »Die Vögel sind seine Gesandten. Sie fliegen hoch über die Wolken bis ganz nach oben, wo Kragg seine Kreise zieht. Er erzählt ihnen, was die Geschöpfe auf der Erde wissen müssen. Und er bittet die Vögel, alles weiterzugeben.«
    Da begann ich zu verstehen. Ich spürte die Federn, die meinen Kopf bedeckten. Betrachtete meine Finger, die aussahen wie Vogelkrallen.
    »Deshalb wird ein Vogel manchmal als Mensch geboren.« Sie sah mich mit ihren warmen Augen an. »Deshalb bist du anders auf die Welt gekommen, und deshalb sind die Federn durch deine Haut gewachsen, als die Kretter dich auf den Scheiterhaufen fesselten. Deshalb haben euch die Vögel gerettet.«
    Sie streckte

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