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Die Traenen Des Drachen

Titel: Die Traenen Des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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die nächsten Zeichen zu entziffern versuchte.
    »Meine Farbe ist Weiß.« Ich las laut und versuchte, nicht zu stottern. »Weiß für die Hoffnung und die gute Zeit, die das Felsenvolk zu meinen Lebzeiten hatte. Wer weiß, welche Farbe du haben wirst? Kraggs Wille ist nicht leicht zu erraten.«
    Die Bilder aus dem Traum begannen vor meinen Augen lebendig zu werden. Der Rabe hatte sich auch Kragg genannt. Er hatte gesagt, er sei mein Zwillingsbruder. Ich beugte mich über das Pergament und fand zurück zu den Zeichen, die ich gelesen hatte.
    »… nicht leicht zu erraten. Sein Wille kann hart sein. Also sei allein, wenn du diese Zeilen liest!«
    Ich wiederholte den letzten Satz und sah zu Noj und Viani hinüber. Sie nickten und gaben Kirgit ein Zeichen, zu ihnen zu kommen. Gemeinsam setzten sie sich vor die Feuerstelle. Ich selbst schob den Stuhl an den Tisch und las weiter.
    »Meine Schrift wird undeutlich. Ich kann das selbst sehen. Meine Krallenfinger zittern, und ich muss sie zum Schreiben zwingen.«
    Ich blickte auf meine eigenen Krallen und den Finger hinab, den ich unter die Zeile gehalten hatte. Sollte derjenige, der diese Zeilen geschrieben hatte, ebensolche Krallenfinger gehabt haben wie ich? Ich las weiter.
    »Ich wurde in Tuur geboren, kam aber als junger Mann hierher. Ein Federnträger wie ich lag im Sterben. Er hatte gewartet und sich geweigert zu sterben, denn er hatte viel zu erzählen, bevor er in das Reich der Toten eintrat. Wie er hoffte ich, dass der Nächste kommen würde, bevor ich selbst sterben muss, doch jetzt ist es bald zu spät. Deshalb schreibe ich dies hier, damit du leichter verstehen kannst, wer du bist.
    Das Felsenvolk hat dich bereits ›Vogelmann‹ genannt und gesagt, dass du Kraggs Worte deuten sollst. Sie wissen nicht mehr als das, also frag nicht. Vielleicht glauben sie von dir, was sie von mir geglaubt haben, dass du mit den Vögeln sprechen kannst. Vielleicht glaubst du es selbst, wenn sie es dir über viele Jahre hinweg gesagt haben. Aber sie täuschen sich, verwandte Seele. Denn nur Kragg wird zu dir sprechen. Vergib also dem Felsenvolk seine Unwissenheit. Sie haben nicht die Gabe, Schriftzeichen zu lesen, und was der Alte sagt, deutet der Junge nach seinen eigenen Wünschen. Trotzdem wollte ich sie nie mit derlei Fähigkeiten belasten, denn sie dienen doch nur dazu, Unfrieden zu schaffen. Doch du sollst meine Worte lesen. Sie sind geschrieben, wie ich es von dem alten Vogelmann gelernt habe, dem, der vor mir lebte.«
    Ich sah mich um und spürte dieses merkwürdige Zucken im Nacken. Nur Loke sah es von seinem Platz aus. Er starrte mich an. Dann lächelte er und sah weg, und ich beugte mich wieder über die Zeichen.
    »Am Anfang von allem war die Welt. Ebenen, Berge, Meer und tiefe Seen. Doch die Welt war jung. Nebel lag über dem Land, und die Erde taute. Dann kamen die vier Winde und bliesen den Nebel fort. Die Sonne stieg aus dem Meer empor und gab dem ersten Morgen Licht.
    Die Wälder spürten die Wärme und gebaren die Ersten. Auf der Suche nach dem Licht, das sie durch die Lücken des Blätterdaches gewärmt hatte, wanderten sie aus der Dunkelheit der Bäume heraus auf die Ebene. Auf ihrem Weg wurden sie zu Männern, und sie sahen einander an und fürchteten sich vor ihren Augen. Die ersten Kriege entbrannten.
    Während der Kämpfe wuchsen die Männer. Sie schlugen aufeinander ein, bis nur noch eine Hand voll am Leben war. Da beendeten sie ihre Kriege, denn sie waren Riesen und hatten vergessen, wie man starb. Und ich sage es, auch wenn mir niemand glauben will, es sind diese Riesen, die heute unsere Götter sind.
    Ekserk war der mächtigste Bogenschütze. Sein Bogen schoss ganze Äste, und sein Umhang war eine Sommerwiese, denn dort wuchsen Blumen. Er lief in die Wälder, und die Hirsche folgten ihm. Er hatte eine Frau, die Mutter der Ebene. Wenn Ekserk fiel, wollte sie ihn zu den Hügeln des sprechenden Windes bringen und ihn gesundpflegen.
    Berav segelte auf den Meeren, und sein Segel verdeckte die Sonne. Auf den Schneegebirgen im Norden hockte Karr mit seinen Eiswesen, und er war Beravs Feind. Manchmal ließ er die Flüsse gefrieren und sperrte ihn auf seinen wilden Wellen aus.
    In einer Höhle lebte Man. Er war der Mann der Berge, und obgleich Karr auf der Spitze des Gebirges hockte, ließ er ihn in Frieden. Denn Man fühlte sich am Fuß der Berge, dort wo die Steine noch warm sind, am wohlsten. Er kannte alle Metalle, und seine Männer hatten die besten

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