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Die Traenen Des Drachen

Titel: Die Traenen Des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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die Hand aus und berührte meine Wangen.
    Noj setzte sich mit dem Rücken zum Feuer und lächelte.
    »Ja, wir wissen Bescheid«, sagte er. »Kirgit hat uns alles erzählt.«
    Ich sah sie an. Kirgit sah mit ihren frisch gewaschenen Haaren und dem wollenen Umhang wie eine erwachsene Frau aus.
    »Du kannst mit den Vögeln sprechen.« Viani sah mich an. Die Flammen warfen einen gelben Schimmer auf ihr Gesicht, und die grauen Strähnen in ihren Haaren wurden zu blonden Locken. »Du sollst uns Kraggs Worte mitteilen. Wir sind schon so lange im Ungewissen. Du bist gekommen, um uns die Antworten zu geben.«
    »Auf was?«
    »Lach nicht über uns, aber wir wissen nicht einmal, welche Fragen wir stellen sollen. Es ist so lange her, seit der letzte Vogelmann davongegangen ist.«
    Der letzte… es war so merkwürdig, als sie das sagte, denn ich hatte immer gedacht, ich sei der Einzige, der so auf die Welt gekommen war. Aber dennoch, auch Kirgit hatte von einem Vogelmann gesprochen, der vor mir gelebt hatte.
    »Wer war er?« Ich erinnere mich, wie die Worte über meine Lippen huschten. Das geschieht so schnell, wenn man jung ist. Eigentlich wollte ich es gar nicht wissen, denn wer will schon sein eigenes Schicksal erfahren?
    »Als er hierher kam, trug er den Namen Uul. Aber das ist ein tuurischer Name, der für unsere Ohren so merkwürdig klingt. Also nannten wir ihn Vogelmann oder Der, Der Federn Trägt.« Noj hatte den Mörser zwischen die Knie geklemmt und starrte mich an, während er den Kolben hin und her rieb.
    »Doch er half den Eltern unserer Großeltern mit Rat und klugen Botschaften. Kragg warnte ihn, als Krim hier draußen an der Küste an Land ging, sodass es ihnen gelang, das Tor zu verbarrikadieren. Und er half ihnen, während der Belagerung nicht den Mut zu verlieren. Er war bei meinen Vorvätern hoch angesehen. Doch schließlich, als er alt war, kletterte er ins Gebirge und kam nie wieder zurück.«
    Ich bekam Angst, als er das sagte. Vielleicht hockte die Leiche des Vogelmannes irgendwo dort oben im Schnee und sah mich an? Und wenn er bei den Menschen hier so gut angesehen war, warum war er dann in die Berge gegangen?
    Noj stützte sich auf seine Knie, als er aufstand und zur Bank hinüberging. Dort leerte er den Inhalt des Mörsers in eine Schale und blieb dann stehen und starrte an die Wand vor sich.
    »Viani«, sagte er und strich sich über den Bart. »Dass du mich daran nicht erinnert hast! Wo ich doch Häuptling bin und das alles! Da hätte ich doch dran denken müssen!«
    Viani schien nicht zu verstehen, was er meinte. Doch Noj nahm einen verstaubten Pfeilköcher von der Wand und kam damit auf mich zu.
    »Hier. Der hat da so lange gehangen, dass ich nicht gleich daran gedacht habe, als du kamst. Mein Vater hat ihn für mich aufbewahrt, und ich habe niemals zu hoffen gewagt, dass ich es sein würde, der den Köcher an den nächsten Vogelmann weitergeben könnte. Denn du bist es, der ihn haben soll, Karain.«
    Ich nahm ihn entgegen und warf einen Blick in den Köcher. Es waren keine Pfeile darin, sondern ein zusammengerolltes Stück Pergament, ganz ähnlich dem Ziegenleder, aus dem ich für Vater in Krugant gelesen hatte.
    »Der Letzte hat es meinem Großvater gegeben und darum gebeten, es Kraggs nächstem Gesandten zu überreichen. Keiner hier in der Felsenburg kann lesen, und so sind die Worte, die dort stehen, von niemandem je gelesen worden. Ich hoffe, dass die Zeichen für dich einen Sinn ergeben.«
    Ich zog das Pergament vorsichtig aus dem Köcher und entrollte es auf dem Tisch. Es war aus zwei Schweinehäuten zusammengenäht worden und auf beiden Seiten beschrieben. Die hakigen Kelszeichen verrieten sich gleich. Die Schrift war mit zittriger Hand geschrieben worden, und ganz unten war eine weiße Feder mit einer rotbraunen Spitze auf das Pergament geheftet worden. Ich klappte es um und fand die erste Zeile. Ich wusste noch, was ich von Vater gelernt hatte, und ließ die Zeichen zu Worten werden, die Worte zu Bildern. Erst als ich hören konnte, wie die gespitzte Feder über das Leder kratzte, als die Worte niedergeschrieben wurden, begann ich leise, für mich selbst, zu lesen:
    »Ich bin Uul, Der, Der Federn Trägt. Ich schreibe das für dich, der du mein Nachfolger bist. Und ich hoffe, du kannst diese Zeichen deuten, ob du nun ein Mann oder eine Frau bist.«
    »Was steht da?« Kirgit beugte sich über meine Schulter.
    »Es wurde von jemandem mit dem Namen Uul geschrieben«, murmelte ich, während ich

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