Die Traenen Des Drachen
bedeckt.
Wir wateten durch einen Fluss und kamen zu einer Steppe voller wogenden Grases. Dort wartete Tarkin auf uns, samt Krim und dessen Heer. Sie waren mit Lanzen bewaffnet. Wir stellten uns in eine Reihe und kämpften.
Blut. Blut aus den Wunden meiner Freunde. Blut aus gebrochenen Flügeln. Blut aus Mans Schulter. Wir verloren. Die letzten Drachen starben. Die Feinde banden sie am Boden fest, zogen ihnen die Haut ab und schmückten sich mit den glänzenden Schuppen. Ich selbst lag unter ihnen. Tarkin kam zu mir und hielt seinen Dolch an meine Kehle, doch da riss ich mich los und flog durch einen Regen von Pfeilen davon. Ich war kein Drache mehr. Ich war ein Rabe. Ich war Kragg. Und ich flog weg von all dem Unfrieden.
Wir verbrachten die Tage vor der Feuerstelle, während Noj und Viani Geschichten aus unbekannten Ländern erzählten. Sie sangen Lieder von Märschen über das Gebirge im Westen und von all denen, die im Meer ertrunken waren. Und das verwunderte mich am meisten; dass ein Gebirgsvolk es liebte, zur See zu fahren. Noj wusste von seinem eigenen Vater zu berichten, der vor ihm Häuptling gewesen war. Als Noj erst acht Winter alt war, wurde sein Vater wie so viele andere von den Wellen der Herbststürme geschluckt. Ich begriff, dass das Land voller Launen war, denn wenn die Gebirgsziegen und Hirsche nach Westen zogen und das Felsenvolk gezwungen wurde, aufs Meer hinauszufahren, um zu fischen, begrüßte sie das Meer nur allzu oft mit Sturmwinden. Dieses Mal war das Wetter schön gewesen, und Kirgit, die ihre Eltern von klein auf gedrängt hatte, mitzukommen, hatte ihren Willen bekommen. Doch nach dem ersten Tag auf See hatte sie das Unwetter überrascht. Den Rest der Geschichte, sagte Noj und fuhr Kirgit durch die Haare, kennt ihr.
Ich lag mit den Waldgeistern vor der Feuerstelle, und abends, wenn alle Geschichten erzählt waren, schliefen wir bei Vianis Gesang ein. Wenn wir aufwachten, saßen sie und Kirgit oft schon auf den Steinen vor dem Feuer und kochten Brei für uns. Ich weiß noch, wie Viani den Getreidebrei mit den Schafsfleischstücken in die tiefen Lehmschalen schüttete und dann das Fleisch aus den Schälchen der Waldgeister nahm und mir oder Noj gab. Sie reichte Kirgit zwei Schalen, und Kirgit gab eine an mich weiter. Das war ein Ritual, das nie ausgelassen werden durfte.
Ja, Freunde, ich sah es in ihren Augen und an ihrem Lächeln, als ob der Grund ihres Lächelns ein Geheimnis war, das nur wir kannten. Manchmal berührte sie mit ihrer Hand meine Krallenfinger, wenn sie mir das Schälchen gab, und abends schob sie mir immer eine Decke unter meinen Kopf.
Begreift ihr nicht, wovon ich spreche? Ha! Wartet nur noch ein paar Winter, Kinder, und ihr werdet verstehen. Ja, Kleiner Tenn, es wird der Tag kommen, an dem du in die Augen einer Frau schaust und eine Wärme spürst, heißer als Feuer. Zieh ruhig deine Nase hoch und sage, dass Mädchen eklig sind, und du, Nin, denk nur weiter, dass Jungen dumm sind. Doch so haben uns Die Namenlosen gemacht. Wir lernen zu lieben und zu hassen, und wir lernen es, für unsere Kinder zu leben und unsere Feinde zu töten. So muss es sein, denn so hat es uns Kragg geheißen.
Es war so viel geschehen, seit ich Krugant verlassen hatte, dass mich nichts mehr überraschen konnte. Ich erinnere mich noch an den fünften Abend, als Kirgit mich fragte, ob ich mit nach draußen kommen würde, um nach dem Wetter zu schauen. Wir wussten alle, dass der Schneesturm noch immer tobte, das konnten wir schließlich hören. Noj und Viani saßen am Tisch und versuchten wegzuschauen, wobei sie uns natürlich doch die ganze Zeit aus den Augenwinkeln beobachteten.
»Verirrt euch nicht bei all dem Sonnenschein«, sagte Noj grinsend, als Kirgit die Tür öffnete und eine Windböe über den Boden fegte.
Draußen nahm sie meine Hand. Der Schnee trieb weiß über die Gipfel der Klippen. Sie drückte sich an mich und sagte, es sei kalt. Ich war ganz still und richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf die Nachbarhütte, vor der ein Mann einen Arm voll Brennholz von dem Holzstapel an der Hüttenecke nahm. Doch Kirgit legte ihre Arme um meinen Hals.
»Du bist schön«, sagte sie. Schön, dachte ich. So hatte mich noch nie jemand genannt. Wie konnte sie so etwas über mich, der ich noch nicht einmal aussah wie ein Mensch, sagen? Und wer war ich eigentlich für sie? War ich der Vogelmann, auf den das Felsenvolk gewartet hatte, oder war ich Karain aus Krugant? Ich sollte nie eine
Weitere Kostenlose Bücher