Die Tränen des Herren (German Edition)
hinauf und neigte sich zu einem eleganten Fußkuss vor dem Heiligen Vater.
„Euer ergebenster Diener, Euer Heiligkeit! - Wir sind froh, Euch wohlauf zu sehen! Nachdem Uns Gerüchte erreichten, dass eine Bande Templer hier ihr Unwesen treibe, hielten Wir es für Unsere Pflicht, zu Eurem Schutz zu eilen.“
Unbewusst wich Clemens einen Schritt zurück.
Im Wald vor Vienne saßen die Brüder um ein nur noch glimmendes Feuer. Wieder war ein Tag vergangen, ohne dass sie etwas von Jocelin und den anderen in Vienne Gefangenen gehört hatten. Bruder Louis vernahm einen kurzen Wortwechsel Ghislaines mit dem Posten und sah sich erstaunt um.
„Ihr seid schon zurück, Madame?”
„König Philipp ist in Vienne.”
„Philipp in Vienne?”
Ghislaine nickte. Die Schreckensnachricht stand ihr noch ins Gesicht geschrieben. „Gestern Nacht ist er gekommen, mit beinahe 200 Söldnern und Rittern. Ein Teil lagert vor der Kathedrale.”
„Dann ist alles verloren“, murmelte einer der Ordensbrüder resigniert.
„Verdammt!” stieß Raimond hervor. „Dann holen wir Clemens doch einfach raus! UND unsere Kameraden!“
„Ohne ausdrückliche Billigung Seiner Heiligkeit können wir nichts, GAR NICHTS tun!“ rief Louis. „Es würde aussehen, als wollten wir den Papst entführen, ihn mit Waffengewalt zwingen! Das wäre das endgültige Todesurteil für den Orden! Clemens muss uns wenigstens EIN Zeichen geben, so lautet der letzte Befehl von Komtur Jocelin.”
Raimond seufzte. „Ich kann nur das verfluchte Warten nicht mehr aushalten! Sollten wir nicht versuchen, unsere Brüder zu befreien?”
Daran hatte Louis mindestens ebenso oft gedacht. Ghislaine hatte ihnen beschrieben, wo Jocelin und die anderen acht festgehalten wurden. Aber unterdessen konnte man sie längst an einen anderen Ort gebracht haben. Er schüttelte den Kopf.
„Das ist zu riskant! Und falls der König bisher noch nichts von den Gefangenen weiß, wird er es dann mit Sicherheit herausbekommen!“
„Ihr glaubt, die Prälaten haben es ihm nicht längst geflüstert?“
„Wir können nur hoffen, Bruder Raimond. Und beten! Und uns bereithalten, wenn die Nachricht kommt.”
Noch bevor er ausgesprochen hatte, sah er, dass Ghislaine niedergekniet war und sich ihre Hände um den Rosenkranz schlossen.
„Betet!“ wiederholte er laut. „Betet! Alle!“
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Obwohl später Vormittag, war es noch düster. Kein Lichtstrahl erweckte die Szenen in den farbigen Fenstern der Kathedrale von Vienne zum Leben. Von irgendwo blies ein heftiger Luftzug durch das Gewölbe und löschte die Kerzen der Akolythen aus, die Papst Clemens zu seinem Thron begleiteten. Verärgert ruhten die Blicke einiger Konzilsväter auf Clemens. Zwei Wochen hatte er mit König Philipp außerhalb des Konzils verhandelt. Und strengste Geheimhaltung lag über all diese Unterredungen gebreitet. Heute saß Seine Majestät neben Papst Clemens. Hinter dem Thron Philipps stand, ungeachtet der noch immer nicht gelösten Exkommunikation, Guillaume de Nogaret. Der Papst hatte sich erhoben. Während er das Eröffnungsgebet sprach, näherte sich ihm sein Notar. Auf einem Samtkissen trug er feierlich eine Pergamentrolle mit dem großen päpstlichen Bleisiegel. Erzbischof Gregor von Rouen bemerkte, wie Clemens‘ Hand zitterte, als er die Bulle entgegennahm. Ebenso unsicher klang auch die Stimme des Heiligen Vaters.
„Bischof Clemens, Diener der Diener Gottes, zum ewigen Gedenken…“ Die Bulle gab eine kurze Zusammenfassung der bisherigen Verfahren gegen die Templer und ihrer Ergebnisse. Einige Konzilsväter hüstelten gelangweilt.
„...erschien es der Mehrheit der auf dem Konzil anwesenden Prälaten, dass dem Orden eine Verteidigung eingeräumt werden müsse, und dass der Orden ohne Beleidigung Gottes und in gerechter Weise allein aufgrund der erhaltenen Beweise für die Häresien, die Gegenstand der Ermittlungen gewesen waren, nicht verurteilt werden kann...”
„Er spricht sie frei!“ dachte Erzbischof Gregor, im Stillen jubelnd. Doch nur einen Augenblick währte seine Freude.
„...es ist zutreffend, dass aufgrund der bisher unternommenen Schritte der besagte Orden kanonisch nicht durch definitiven Urteilsspruch als häretisch verurteilt werden kann... aber den Skandal, den so viele Geständnisse, und besonders das Bekenntnis des Meisters, verursacht haben, können Wir um des Wohles der Kirche willen nicht übergehen... Folglich lösen Wir durch apostolische Verfügung und nicht durch
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