Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
Vom Netzwerk:
gegen die Gitterstäbe.
    „Jocelin! Jocelin, hört Ihr mich?“
    Aus dem Halbdunkel schälte sich eine Gestalt und eine leise Stimme fragte:
    „Ghislaine, was sucht Ihr hier?“
    „lch komme von Erzbischof Gregor. - Wie behandelt man Euch und die anderen?”
    „Wir nehmen unser Schicksal an in Gottes Namen. Betet, dass man uns einen raschen Tod gönnt!“
    Gütiger Himmel, sie wollte so etwas nicht von ihm hören! „Nein, gebt noch nicht auf! Ich habe mit meinem Onkel gesprochen. Er sagte, viele der Konzilsväter, fast das ganze Kardinalskollegium und auch Clemens selbst seien für eine Verteidigung des Ordens. Aber König Philipp ist mit Truppen nach Lyon unterwegs!“
    Diese Erwähnung ließ Jocelin schaudern. Von einem Augenblick zum anderen waren die Schreckensstunden in den Händen der Folterknechte wieder so deutlich präsent, dass seine Knie zitterten. „Ich habe nicht die Kraft, es noch einmal auszuhalten“, dachte er.
    „...Man fürchtet, er könne Vienne angreifen, falls dem Orden die Verteidigung gestattet wird. Aber wenn Philipp abzieht, dann -“
    „Ah, Madame“, rief Bruder Jean aus der Dunkelheit. „Philipp und das Feld räumen? Seine Majestät wird keinen Fuß zurücknehmen! Das sind vergebliche Wünsche! Eher fließen die Flüsse aufwärts und die Bäume wurzeln in der Luft!“
    „Vielleicht nicht...“ sagte Arnaud plötzlich nachdenklich. „Stünden die Templer Papst Clemens bei, vielleicht...?“
    „Ja.“ Jocelin hob den Kopf, kämpfte mit seiner eigenen Stimme gegen sein wild pochendes Herz und die Beklemmung an. „Ja, Ihr habt recht, Sire Arnaud! - Ghislaine, richtet dem Erzbischof von Rouen aus, die Schwerter des Tempels stehen dem Heiligen Vater zur Verfügung! Und sagt Bruder Louis, er möge sich bereithalten, dem Befehl Papst Clemens‘ zu folgen!“
    Arnaud streifte den Ring von seinem Finger.
    „Madame, hier habt Ihr unser Siegel!“
    „Ghislaine, Ihr dürft nicht noch einmal zu uns kommen!“ flüsterte Jocelin, während er ihr das Unterpfand reichte. „Bleibt bei unseren Brüdern vor der Stadt! Ganz egal was geschieht! Kommt nicht noch einmal zu uns!”
    Er streckte eine Hand durch das Gitter, berührte ihr Gesicht. Für einen Moment überlegte er, ob er ihr sagen sollte, wie schön sie war… so viel schöner als in all seinen Fieberträumen im Kerker… und wie viel sie ihm bedeutete. Aber was würde das bringen in dieser Stunde? Was außer Leid? Er wollte ihr das nicht antun. Sie schmiegte eine tränennasse Wange in seine Hand.
    Da klangen die Schritte des Kerkermeisters auf den Stufen.
    „Schluss!” erklärte er barsch, schob Ghislaine zur Seite und schlug das Fensterchen zu.
    Über eine Woche verhinderte Papst Clemens‘ schlechter Gesundheitszustand, dass die Konzilsväter zu einer allgemeinen Sitzung zusammentrafen. Als man sich endlich wieder in der Kathedrale einfand, brach augenblicklich der Streit über den Templerorden los. Gestärkt durch die Nähe König Philipps wechselte die Partei des Bischofs von Mende zwischen Forderungen, die Templer zu verurteilen, und Anklagen gegen Papst Bonifatius und Papst Clemens. Schließlich drohte sie sogar, das Konzil zu verlassen. Erst Kardinal Berengars Ankündigung, die Betreffenden in diesem Fall zu exkommunizieren, brachte die Anhänger des Königs dazu, ihre Plätze einzunehmen.
    Erzbischof Gregor erhob sich im Plenum der Konzilsväter. Er hatte die ganze vergangene Nacht mit sich gerungen, ob er tatsächlich in die Tat umsetzen wolle, woran er dachte. Aber nun hatte er keinen Zweifel mehr. Er musste sprechen, mochte ihm das möglicherweise auch recht bald sein Amt und sein Leben kosten!
    „Von unserer Versammlung, dem ökumenischen Konzil, erwartet die Christenheit Gerechtigkeit und Erbauung, die Kirche neuen Ruhm und die Zukunft ein großes Beispiel“, begann er. „Wir haben über das Schicksal eines Ordens zu entscheiden, der berühmt und mächtig ist diesseits und jenseits der Meere. Ihr kennt die Hauptanklagen; man hat Euch die Ergebnisse der Untersuchungen vorgelesen. Nun! Wer von uns glaubt jetzt noch an die Schuld des Ordens und der Ritter? Es heißt, sie hätten Götzenbilder angebetet. Mehrere Zeugen sagten aus, es habe solche Bilder in England, Frankreich, in Italien und Spanien gegeben. Wie kam es, dass diese Bilder an dem Tag verschwunden waren, als man sich der Ritter und der Güter des Ordens bemächtigte? Ist es an uns, diese plumpen Lügen der Anklage blind zu übernehmen? Haben wir vergessen,

Weitere Kostenlose Bücher