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Die Tränen des Herren (German Edition)

Die Tränen des Herren (German Edition)

Titel: Die Tränen des Herren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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Familien Brot, Käse und Wein verteilen“, hörte sie sich sagen.
    Der Verwalter zog ein säuerliches Gesicht, unterließ es aber gottlob, sie darauf hinzuweisen, dass allzu viel Mildtätigkeit die Bauern faul machen würde, sonst einer seiner Lieblingssprüche.
    „Gut.“ Ghislaine erhob sich. „Genug für Heute. Die Streitigkeit wegen des Wegezolls mit dem Pastorat von Saint-Laurent sehe ich mir morgen an!“
    Nachdem sie den Mann hinausgescheucht hatte, gestattete sie sich einen Seufzer und ließ sich in die Kissen des Lehnstuhls zurücksinken. Eine ganze Weile saß sie reglos so, dann beschloss sie, hinauf in die Kapelle zu gehen. Vor Gott wenigstens brauchte sie nichts zu verbergen. Wenn ihr auch manchmal der alte Kruzifixus mit seinem Königsgewand, der Krone und dem strengen Blick fremd und fern erschien…
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    „Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, Amen“ sagte Erzbischof Gregor von Rouen und setzte sich. Sein Gesicht war sorgenvoll.
    Über eine Woche war bereits vergangen seit jenem Tag, an dem die Große Kommission das Verfahren hätte eröffnen sollen. Doch bisher waren weder Zeugen für, noch gegen den Templerorden erschienen. Und auch die von den Provinzialkommissionen angeforderten Protokolle trafen nur spärlich ein. Vor zwei Tagen war es Erzbischof Gregor endlich gelungen,  zu Meister Jacques und Godefrois de Charny vorzudringen, die man wieder nach Corbeil geschafft hatte. Die Antwort auf die Frage, ob sie für den Orden aussagen wollten, war Erstaunen gewesen: Man hatte sie weder über die Absichten der Kommission, noch die erlassene Vorladung unterrichtet. Empört verlas Erzbischof Gregor selbst ihnen das Edikt: Die beiden Ordensbrüder beteuerten daraufhin ihren Willen, den Tempel zu verteidigen. Gregor von Rouen vereidigte sie und beauftragte den Prévot von Paris, die Gefangenen sofort vor die Kommission zu führen. Dann sandte er seinen persönlichen Notar in Begleitung zweier Bewaffneter, die Verliese der Diözese Paris zu besuchen. Wenn nötig, sollte er die Veröffentlichung der Vorladung gewaltsam durchsetzen. Es schien jedoch, dass auch diese Maßnahme erfolglos bleiben würde. Bis Mittag warteten die Kommissare vergeblich.
    Als sich nach der Non noch immer kein Zeuge eingefunden hatte, beschloss Erzbischof Gregor, die Sitzung zu schließen. Da meldete ein Schreiber, der Prévot von Paris sei angekommen.
    „Bringt ihn herein!“ befahl Gregor von Rouen.
    Mit einer Verbeugung grüßte der Prévot und wies zwei königliche Söldner an, vorzutreten. Sie schleppten einen Gefangenen mit sich.
    „Ehrwürdiger Vater, hier habt Ihr den Bruder Godefrois de Charny!“
    „Was ist mit dem Ordensmeister?“
    „Er ist zu schwach für ein Verhör, Ehrwürdiger Vater!“ Erzbischof Gregor nickte. Solang der Meister noch in der Gewalt König Philipps auf Corbeil war, blieb seine Kommission machtlos.
    Nachdem der Prévot mit seinen Söldnern gegangen war, wandte sich Gregor von Rouen an den Zeugen. Im hellen Licht der Bischofskapelle wurde der erbärmliche Zustand des Ordensbruders noch deutlicher als vor zwei Tagen im Kerker von Corbeil. Die blonden Locken, die Godefrois de Charny  einst den Beinamen “le Bel“ eingebracht hatten, waren fast völlig ergraut. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten.
    Unbeeindruckt von den missbilligenden Blicken des Bischofs von Mende grüßte Gregor von Rouen den Ordensritter mit der Ehrerbietung, die ihm als fast Gleichrangigem zukam.
    „Sire Godefrois, im Namen Seiner Heiligkeit Papst Clemens V., Vikar Christi und Diener der Diener Gottes, frage ich Euch, was habt Ihr zu den Anschuldigungen zu sagen, die gegen den Orden des Tempels von der Inquisition erhoben wurden?“
    Der Provinzmeister der Normandie musterte die anwesenden Kommissare und fand seine Befürchtungen bestätigt. Drei königstreue Bischöfe! Sie würden Seiner Majestät jedes Wort hinterbringen, das er sagte! Dann kam eine Verteidigung dem Selbstmord gleich...
    „Ich habe bereits den Kardinälen, die uns in Chinon verhörten, alles mitgeteilt“, erklärte er deshalb. „Ich werde keine weitere Aussage machen, es sei denn vor dem Papst.“
    „Wollt Ihr den Orden verteidigen, Sire Godefrois?“
    „Ich… ich werde nichts weiter sagen! Bringt mich vor den Papst!“
    Enttäuscht ließ ihn Erzbischof Gregor abführen. Er konnte sich denken, was Charnys Reaktion verursacht hatte... Aber wie sollte er den Templern Vertrauen zu einer Kommission vermitteln, deren Mitglieder er selbst

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