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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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und weil er ihnen nicht zumuten wollte, dass sie plötzlich mitten in der Wildnis vor einem Haus mit einer Pestflagge standen und nicht weiterwussten. Danach, so hatte er sich vorgenommen, würde er zurückreiten auf sein bescheidenes Landgut und in Ruhe abwarten, wie die Bekanntschaft sich weiterentwickelte.
    Jetzt lag er in seinem Bett und konnte an nichts anderes denken als an die wunderschöne junge Frau, diese frische, unberührte deutsche Blume, die so unversehens in das tödliche Klima der Tropen verpflanzt worden war. Dass sie hübsch war, das hatte ihm der Nachbarschaftsklatsch schon lange vor ihrer Ankunft zugetragen, aber »hübsch« nannte man schnell einmal ein Mädchen, und meistens hieß das nichts anderes, als dass man sich mit ihr blicken lassen konnte. Aber sie! Immer wieder versenkte er sich in die Erinnerung an ihr bernsteinfarben im Lampenlicht schimmerndes Haar, ihre langbewimperten Augen, den lebhaft roten Mund, der ganz ohne Schminke auskam.
    Und ihr Mann – ein Krüppel! Gewiss, ein verstauchtes Bein war lästig und langwierig, aber es heilte auch wieder. Es waren die anderen Gerüchte, die er über Simeon Vanderheyden gehört hatte und die ihre Bestätigung gefunden hatten in diesem selbstzerstörerischen, unsinnigen Wutanfall, dessen Zeuge er geworden war. Als der Arzt die Schnittwunde nähte, hatte er die vielen feinen weißen Narben auf der Innenseite seiner Arme gesehen. Der junge Mann geriet nach seiner Mutter, kein Zweifel. Vielleicht war er bereits auf dem schlimmsten Wege, demselben schleichenden Wahnsinn zu verfallen wie sie. Was sollte dann aus der Frau werden?
    Edgar Zeebrugge war nie verheiratet gewesen, aber durchaus nicht unerfahren, was Frauen anging. Er hatte gute Freundinnen, und er hatte Mätressen gehabt, aber im Grunde hatte er dem schönen Geschlecht immer skeptisch gegenübergestanden. Frauen waren in seinem Leben ein Zierrat wie eine Vase frischer Blumen auf dem Tisch, eine Freude für die Sinne, ein Schmuck fürs Heim, aber nicht unbedingt notwendig. Jetzt hatte er das Gefühl, dass er zum ersten Mal einer begegnet war, die ihm alles hätte bedeuten können, wäre er zwanzig Jahre jünger gewesen. Aber erstens war er schon lange nicht mehr der attraktive Jüngling, der er einst gewesen war, bevor all das Unheil über ihn hereingebrochen war, und zweitens hatte er deutlich bemerkt – und einen Stich der Eifersucht dabei empfunden –, wie zärtlich sie ihren Mann liebte. Er hatte jede ihrer Bewegungen, jeden ihrer Blicke beobachtet. Wie ihre Augen an den Lippen ihres Gatten hingen, wenn er sprach! Wie beflissen sie war, ihm in Kleinigkeiten zu Diensten zu sein! Kein Zweifel, sie liebte ihn. Frauen, dachte er voll Bitterkeit, ging es immer nur um ein schönes Gesicht. Und wenn ihnen der Mann dann auch noch leidtat … Ein seltsames Geschlecht war das! Einem Mann wurde eine kränkelnde, hilflose und abhängige Frau bald lästig. Auf Frauen dagegen schien ein gebrechlicher Mann eine ganz besondere Anziehungskraft auszuüben. Wie flink die Schöne sich gebückt hatte, als Simeon die Serviette zu Boden gefallen war! Wie eifrig sie aufgesprungen war, um eine Karaffe mit frischem Eiswasser vom Sideboard zu holen! Und welche Sorgen sie sich machte um diesen jähzornigen Dummkopf, der nur selbst daran schuld war, dass er jetzt Schmerzen und einen Gipsverband hatte!
    Edgar war ein aufrichtiger Mann, auch sich selbst gegenüber. Er machte sich keine Illusionen darüber, dass er ein verwitterter und verbitterter Sonderling war, wahrscheinlich eine Vaterfigur in den Augen der jungen Schönheit. Sie würde sich niemals für ihn interessieren, auch wenn sie nicht die frisch angetraute Frau eines anderen gewesen wäre. Nein, dass sie ihn bezauberte, das wollte und musste er für sich behalten. Aber beistehen konnte er ihr in der schwierigen Situation, in die das Unheil der Plantage und der selbstzerstörerische Wutanfall ihres Gatten sie gebracht hatten. Er würde ihr über die nächsten Tage hinweghelfen und dann zusehen, dass sie mit dem nächsten Dampfer in den sicheren Hafen Deutschland zurückkehrte. Hier in Java durfte sie nicht bleiben, ihr kranker Mann würde nie in der Lage sein, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, und in der verfahrenen Situation hatte die kleine Frau nichts zu erwarten als Ärger, Schrecken und Gefahren. Er schlief ein und versank in Träumen, in denen Anna Lisa Vanderheyden die Hauptrolle spielte.
    Anna Lisa hatte nicht erwartet, dass sie auch nur

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