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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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guttun, da hatte der Doktor recht.«
    »Aber Bilsenkraut und Schierling sind giftig!«
    »Opium, Cannabis und Tabak auch. Trotzdem rauchen viele Pflanzer hier das Zeug den ganzen Tag und fühlen sich wohl dabei.«
    Anna Lisa dachte daran, was Simeon ihr über Kaffee und Waldmeister erzählt hatte. Gift, wohin man blickte! Dennoch trank sie mit Genuss die Schale wirklich exzellenten schwarzen Kaffees, die Edgar Zeebrugge ihr zuvorkommend einschenkte. Es stimmte, was sie gehört hatte: Auf Java braute man den besten Kaffee der Welt. Sie widersetzte sich auch nicht, als er ihr ein großes Glas Eiswasser mit Limettensaft, Chinin und einem Schuss Genever mischte. Bei den häufig verschimmelten Lebensmitteln und dem allgegenwärtig schleichenden Fieber, erklärte er, war es am klügsten, sich rundum abzusichern. »Ich selber halte es wie die Einheimischen mit rotem Chili«, sagte er. »Sie schützen vor allen Infektionen, vor Fieber und verdorbenem Magen, auch wenn man nach dem Essen Feuer speit und Flammen furzt – Verzeihung. Sie müssen mir einiges nachsehen. Ich bin in meiner Einsamkeit verwildert.«
    Anna Lisa fuhr der Gedanke durch den Kopf, was wohl einen so attraktiven und charmanten Mann in der Einsamkeit festhielt, aber dann wandte sie sich wieder ihren eigenen drängenden Sorgen zu. Sie verließen das Hotel, vor dem ein Stallbursche mit Edgar Zeebrugges behäbiger Stute und zwei Mietpferden für die Damen wartete. Fräulein Bertram, die im Speiseraum für Personal gefrühstückt hatte, saß bereits im Sattel.
    Anna Lisa setzte den Fuß in den Steigbügel und schwang sich, unbekümmert um ihre voluminösen Röcke aus raschelndem Crêpe de Chine, leicht und elegant auf den Rücken des Mietpferdes. Sie gab sich, als wäre sie immer schon geritten, aber sie war sehr dankbar, dass ihr Pferd eine schwerfällige, matronenhafte Apfelschimmelstute war, die ganz sicher einen Schuss Jütländer im Blut hatte, so riesenhaft waren ihre Hufe. Sie merkte sofort, dass sie es mit einem Tier zu tun hatte, das nichts aus dem Gleichgewicht brachte. Wenigstens würde sie zu all ihren Sorgen nicht auch noch aus dem Sattel geworfen werden!
    Sie ritten gemächlich bis an den Rand des Waterlooplein. Zeebrugge zeigte und erklärte ihr die zahlreichen Gebäude, die sich um den riesigen Platz gruppierten. Außer dem Regierungsgebäude mit dem Sitz des Rates von Indien und den Büros der meisten Zivil- und Militärbehörden lagen hier das Arsenal, die Artillerieschule, das Hospital für christliche Einwohner – für nichtchristliche waren das »Stads Verband« und das chinesische Krankenhaus bestimmt –, die Kasernen, das Gefängnis für Europäer, ein Theater und die 1837 gebaute Zitadelle Frederik Hendrik. Dann verließen sie die Stadt.
    Anfangs war die Straße, die sie entlangritten, noch sorgfältig geglättet. Gepflegte Bäume überschatteten sie, quer verlaufende Rinnen leiteten das bei Regen von den Berghängen strömende Wasser ab. An Bäumen und Pfosten klebten wie eine Girlande fröhlicher Wimpel bunte Reklamen. Doch je höher die Straße sich in die Berge hinaufwand, desto abenteuerlicher wurde der Ritt. Die Luft um sie herum summte von Insekten, und immer wieder flatterte Anna Lisa ein handgroßer Schmetterling ins Gesicht. Auf Herrn Zeebrugges Rat hin schlug sie den langen, bis über die Schultern fallenden Schleier an ihrem Hut herunter, um sich vor den Myriaden lästiger Insekten zu schützen, die von Staubkorngröße bis zu faustdicken Brummern in der feuchten Schwüle zwischen den Bäumen tanzten. Bald rückten Büsche und Bäume von beiden Seiten immer näher an den Weg heran, bis die kräftigen Hinterteile der Pferde bei jedem Schritt das Grün beiseitestreiften. Die mächtigen Schirme der Palmwedel hielten die Morgensonne von ihnen ab, sodass sie in einem sanften, grünlichen Dämmerlicht dahinritten. Immer tiefer drangen sie in den Dschungel ein, der sie heiß und dampfend umgab. Einmal hielt Anna Lisa erschrocken ihr Pferd an, weil ein Tier, das einem großen, braunen Schwein mit ungewöhnlich langer Schnauze ähnelte, gemächlich den Weg kreuzte – ein Tapir, wie Edgar Zeebrugge erklärte.
    Die junge Frau überkam ein Gefühl ängstlicher Beklemmung, als sich der feucht-heiße Dschungel mit seiner bizarren Symphonie von Geräuschen zu beiden Seiten dicht an den Pfad herandrängte. Immerhin befanden sie sich hier ja nicht mitten in der tiefsten Wildnis, sondern noch keine Dreiviertelstunde vom Waterlooplein

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