Die Traenen des Mangrovenbaums
erzählte, die in ihrer deutschen Heimat passiert waren – zwei Onkel waren bei einem Grubenunglück umgekommen, ein Nachbar war von Räubern erschlagen worden, ihre Patentante war einem Hausbrand zum Opfer gefallen. Wieso sie dachte, solche Geschichten würden Anna Lisa aufheitern, wusste niemand, aber seltsamerweise tröstete es die unglückliche Frau tatsächlich, von fremdem Unheil zu hören. Jedenfalls hätte sie im Moment nichts von Glück, Freude und Zufriedenheit hören wollen.
Niemand von ihnen erwähnte Raharjo. Sie sprachen auch nicht über die merkwürdigen Vorgänge im Haus. Dongdo wurde nie wieder gesehen, aber nachts tauchten immer wieder Männer auf, zu Pferd oder zu Fuß, einzeln oder zu mehreren.
Herr Setiawan war ein treuer Diener seines Herrn gewesen, und er führte dessen Geschäfte nach seinem Tod weiter – das vermuteten die Vanderheydens jedenfalls, wenn nächtliche Gäste kamen und gingen, die vom Hauswart persönlich eingelassen und wieder verabschiedet wurden. Einmal stellte Setiawan selbst, vorsichtig die Lage sondierend, die Frage, ob ihnen das nächtliche Kommen und Gehen aufgefallen sei; im nächsten Atemzug setzte er hinzu, die Javaner seien gastfreundliche Leute, es sei außerdem vom Propheten geboten, verirrten Reisenden Obdach zu bieten, denn im Dschungel zu nächtigen, sei gleichbedeutend mit einem Todesurteil.
Simeon nickte würdevoll und antwortete: »Das ist eine edle Tat, Herr Setiawan, und Sie sind sehr zu loben, dass Sie die Gastfreundlichkeit Ihres verstorbenen Herrn fortsetzen. Im Übrigen sind Sie der Hausverwalter hier und wir nur Gäste; wem Sie die Tür öffnen oder verschließen, ist ganz allein Ihre Sache.«
Setiawan verneigte sich mit gefalteten Händen und verschwand, eine sehr zufriedene Miene zur Schau tragend.
Simeon sagte auf Deutsch, das niemand von den Einheimischen im Hause verstand: »Ich möchte wissen, ob er mich jetzt für einen Volltrottel oder einen Mitverschwörer hält. Verirrte Reisende! Letzte Woche schleppten zwei dieser Verirrten eine Kiste ins Haus, die verdammt nach einer Munitionskiste aussah.«
»Ich glaube«, erwiderte Anna Lisa, »er hat sehr gut verstanden, was du gemeint hast mit ›die Gastfreundlichkeit seines verstorbenen Herrn fortsetzen‹. Ist dir klar, dass wir hier in einem Wespennest sitzen? Was tun wir, wenn eines Tages holländische Soldaten hier auftauchen?«
Simeon zuckte die Achseln. »Was Zeebrugge uns geraten hat – uns dumm stellen.«
Einmal mussten die geheimnisvollen Gäste eine Nachricht gebracht haben, die alle Herzen erfreute, denn sie wurde mit wüsten Jubelschreien aufgenommen.
Pahti lauschte an der – wieder einmal verschlossenen – Tür und übersetzte seinen Herrschaften, was er dem auf Malayalam geführten Gespräch entnahm. »Sie haben die Männer gefunden, die Raharjo erschossen haben. Banditen – Belanda Hitam – black Dutch, schwarze Holländer …«
Damit, so erklärte er ihnen, waren Afrikaner von der Goldküste gemeint, die im Krieg gegen den Prinzen Diponegoro als Söldner in die Dienste der Holländer getreten waren; sie waren den Javanern doppelt und dreifach verhasst, weil die meisten von ihnen nach dem Ende des Krieges nicht zurückkehrten, sondern im Land herumstreunten, wo sie sich als Wegelagerer und bezahlte Meuchelmörder über Wasser hielten.
»Sie haben drei Männer zu fassen bekommen, die beiden Schützen und einen Verräter, und ihnen ist die verdiente Strafe zuteilgeworden; sie haben sie …«
Simeon hob die Hand. »Pahti«, sagte er freundlich, aber sehr bestimmt, »ich will nichts Näheres darüber erfahren. Ich bin überzeugt, dass volle Gerechtigkeit geübt wurde, die Einzelheiten kannst du uns ersparen.«
»In dem Fall«, antwortete Pahti mit der ihm eigenen ruhigen Würde, »möge der Mijnheer in nächster Zeit einen weiten Bogen um Buitenhus machen, denn wo die Tat begangen wurde, wurde auch die Strafe vollzogen, und die Überreste hängen an den Bäumen, damit jeder sie sehen kann.«
»Danke, Pahti. Ich werde deinen Rat befolgen.«
Rangdas Zunge
G odfrid Brägens war in ausnehmend schlechter Laune, als die Meerschwalbe Mitte August 1880 endlich im Hafen von Batavia anlegte. In Bombay hatten die Behörden das deutsche Schiff unbarmherzig die gesamte Quarantäne-Zeit festsitzen lassen, und Godfrid konnte nichts anderes tun, als an Deck auf und ab zu rennen und immer wieder Telegramme an die Königlich-Niederländische Bank zu schicken, man möge seinem
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